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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 16 (2. Maiheft 1903)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0236

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lebe in der Vergangenheit, und alle deine Kinder will ich wie die
meinigen lieben. Aber wie wunderbar, daß wir uns seitdem nie
wiedergesehen haben."

„Jch ging wenig aus," sagte die Mutter, „und mein Mann,
der bald darauf einer Erbschaft wegen einen andern Namen annahm,
hat dir auch jeden Verdacht dadurch entfernt, daß wir in derselben
Stadt wohnen könnten."

„Jch vermied die Menschen," sagte Ferdinand, „und lebte nur
der Einsamkeit; Leopold ist beinah der einzige, der mich wieder an-
zog und unter Menschen führte. O geliebte Freundin, es ist wie
eine schauerliche Geistergeschichte, wie wir uns verloren und wieder-
gefunden haben."

Die jungen Leute fanden die Alten in Tränen aufgelöst und in
tiefster Bewegung. Keines sagte, was vorgefallen war, das Ge-
heimnis schien ihnen zu heilig. Aber seitdem war der Greis der
Freund des Hauses, und der Tod nur schied die beiden Wesen, die
sich so sonderbar wiedergefunden hatten, um sie kurze Zeit nach-
her wieder zu vereinigen.

kunäsckau.

G Wo steckt der Schulmeister?
Die „Jugend" macht in ihrem letz-
ten Hefte über die Einteilung im
„Hausbuch deutscherLyrik" sich und ihre
Leser lustig. Als Verbesscrung schlägt
sie u. a. vor: „Lieder während des
An- und Auskleidens zu singen

a) im allgemeinen z. B. Goethes
Mignonlied:

>So laß mich scheinen, bis ich werdel
Zieht mir das weiße Kleid nicht aus!«

b) Bei den Strümpfen:

«) beim rechten:

>Z'Lauterbach hab' ich mein' Strumpf
verlorn,«

ss) beim linken:

>Solche Leut müssen wir haben-
usw. Jst das nicht drollig? Freilich,
aber wie kommt sie darauf? Jn einer
Fußnote ist's angedeutet: „Die Samm-
lung zerfällt u. a. in folgende Zyklen:
>Frühling«, »Norddeutsch«, >Meer«,
>Nacht«, >Liebesspiel«, >Jhr Loos«,
»Sein Loos«, >Scherz im Haus«,
>Tod« a) im allgemeinen, b) der
Freunde, e) der Geliebten, ä) der
Eltern, s) der Gattin, l) des Kindes,
>Sehnsucht nach der Kindheit«, >Dem
Ende zu«. Liebe „Jugend^, hier slun-

kerst du: das „Hausbuch" zerfällt
nicht in Zyklen mit a, b, e; aber
warum soll man nicht eines Spaßes
halber mal harmlos ein bischen flun-
kern? Und es ist ja nichts dabei, als
der gut deutsche Aerger über das
Schulmeistern, wo's ist oder wo man's
sieht. Wo sie's sieht, sagt die „Ju-
gend": bei „F. A., dem neuen prae-
eeptor 6ern>s.nia.v". Selbstverständlich.
Jst's aber auch da?

Schulmeister pflegt man die Leute
zu nennen, die angepflöckt im abge-
nagten Gedankenkreis weiter grasen.
Was den Kunstwart und seine Unter-
nehmungen zu dem gemacht hat, was sie
sind, ob's gut oder schlecht war, waren
Neuerungen. Schluß aus diesen Prä-
missen: ich bin der Schulmeister.
Und das „Hausbuch"? Benützt seine
Einteilung die hergebrachte Regel?
Oder stößt es nicht vielmehr die üb-
lichen Einteilungsregeln für Antho-
logien um? Schluß aus der Prämisse:
ich bin der Schulmeister. Die bis-
herigen Anthologien ordneten fast alle
nach GeburtSjahr oder nach ABC. Das
war Papier, reines Listen - Papier.
Das Hausbuch ordnet nach den Stim-

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Aunstwart
 
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