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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Klopstock und Claudius
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0013

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Ueber Hamburg klagt von allen sechs Türmen feierliches Traner-
geläut, Trauerfahnen hangen von den Häusern herab, auf Halbmast
flaggen die Schisfe im Hafen. Und durch die Straßen bewegt sich
ein Zug, wie ihn Dcutschland noch seltcn gesehen hat: den Chörcn,
dcm militärischen Ehrcngeleit folgen mit mittelalterlichem Amtsge-
pränge die Behörden der Stadt, folgen sechsundsiebzig Wagen, und
das Bürgergeleit zu Fuß scheint endlos zu sein. Durch das Millern-
tor kommt man nach Altona, holsteinische Husaren lösen die ham-
burgische Ehrenwache ab, weitere achtundvicrzig Wagen schließen sich
an. So naht der Trauerzug Ottensen. „Weinende Chöre" singen
Lieder, dann liest der Gcistliche aus eiuem Buchc vor. Nuu legt er
es auf deu Sarg. Als der in der Gruft steht, wird er von Blumen
zugeschüttet bis über den Erdrand hinaus. Es ist Klopstocks Sarg,
das Vuch darauf ist sein Messias.

Es war des fast achtzigjährigen Klopstocks Sarg. Mit welchem
Jubel dereinst die ersten Gesünge des Jünglings begrüßt wurden,
der die Messiade schrieb, das wissen wir alle, lesen wir selbst heute
davon, so hören wir ihn ja beinah noch herübcrhallen aus der
fernen Vergangenheit, wie er von den dänischen Sunden bis übcr die
Alpenseen der Schweiz braustc. 1803 abcr lag das schon mehr als
ein halbes Jahrhundert zurück, und Lessings Klage sogar, daß ein
Klopstock weniger gelobt und fleißiger gelesen sein wolle, war längst
schon ein alter Spruch. Lessing selbst war seitdem zur Wirkung ge-
kommen, und dann waren das sie, deren Licht allmählich alles über-
strahlte, die von Wcimar. Trotzdem sehen wir nun vom Volk
in allen seineu Schichten bis zum regiercnden Senate von Hamburg
und bis zu den Königen der Erde dieses Bewußtsein, daß mit dem
alten Hofrat Klopstock ein Großer geschieden sei, ein Unsterblicher.
Kein Literat im ganzen deutschen Reich, dem es beigekommen wäre
zu sagen: nun hat ein alter Modegötz ausgclebt. Die Wenigen selbst,
die gleich dem alten Herrn Rat Goethe dereinst nicht viel anders
gedacht, — wenn sie noch lebten, hätten sie sich vor dem Ruhm dieses

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