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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
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Bartels, Adolf: Rosegger und die Heimatkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0441

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kosegger unä ctie tzeimalkunsl.

Der Kampf um die Berechtigung der Heimatkunst tobt etwas
überflüssiger Weise noch immer: ist sie doch seit einer Reihe von Jahren
schon da, und hat sie doch eine Reihe tüchtiger Werke gegeben — selbst
das erfolgreichste Buch der lctzten Jahrzehnte gehört ja ihr an. Jn
der Tat: Was dem Naturalismus und dem Symbolismus recht war,
daß sie nach einer bestimmten Anzahl wirklicher Leistungen als innerlich
berechtigt anerkannt wurden, das würde wohl auch der Heimatkunst
als billig gelten, könnten sich nur jene Berliner Literaten mit ihr aus-
söhnen, die sie leider nicht selber „gemacht" haben. So schrieb Leo
Berg vor nicht langer Zeit, die Heimatkunst sei der Naturalismus der
Beschränkten — ein hübscher Unsinn, denn erstens hat sich die Heimat-
kunst nie an die naturalistische Technik gebunden und ist aus ganz an-
derem Geiste entsprungen, als dem der „unpersönlichen" Wirklichkeits-
kunst, und zweitens hat sie stets alle Zeitbewegungen berücksichtigt, ja,
aus dem Zusammenstoß des Alten und Neuen ihre beste Kraft gesogen.
Sie ist wohl nicht mehr und nicht weniger als der notwendige Abschluß
der literarischen Bewegungen des verflossenen Menschenalters, das Dritte,
das aus dem Ersten und dem Zweiten natürlich hervorgeht, die Resultierende
aus den Komponenten im Parallelogramm der Kräfte. Schon andere Leute
haben bemerkt, daß sich hier das bekannteHegelsche Gesetz abermals bestätige:
Nach dem unpersönlichen, übertrieben sozialen, internationalen, demokrati-
schen Naturalismus und nach dem übertrieben individualistischen und
aristokratischen, aber gleichfalls internationalen Symbolismus mußte ein
drittes Ausgleichendes, also zugleich Persönliches, Soziales und Nationales
kommen, eben die Heimgtkunst, die ja recht wohl das Gute von Na-
turalismus und Symbolismus in sich ausnehmen kann, nicht bloß tech-
nisch, und die das auch vielfach getan hat. Man prüfe nur einmal
vorurteilslos! Mit der Heimatkunst sind wir wieder ganz in der deut-
schen Entwicklung, und dahin mußten wir auch wiedcr gelangen; dem
Auslaufen der eigentlichen Moderne in die Ueberbrettlbewegung, weiter
dem Ueberschwemmen der deutschen Literatur nicht nur mit gesund be-
fruchtender guter, sondern auch mit gemeiner Auslandsproduktion war
nicht anders zu begegnen. Wir haben jetzt wieder neue Bücher, die
jedermann im Volke ruhig in die Hand nehmen kann, gute Bücher in
jeder Beziehung, und die sind jedem Volke denn doch wohl nötig. Ge-
schichtlich hängt die Heimatkunst mit der großen deutschen Stammeskunst
zusammen, die seit den Tagen Pestalozzis und I. P. Hebels nie ohne
hervorragende Vertreter bei uns gewesen ist. Und es ist ein Bewris
für die Richtigkeit solcher Anschauungen, daß der letzte noch lebende
dieser deutschen Stammesdichter zugleich ein echter Heimatdichter ist, so
daß die alte rcalistische Stammeskunst und die neue Heimatkunst ohne
Unterbrechung in einander übergehen.

Jch meine mit dem letzten großen Stammesdichter Peter Rosegger.
Wir feiern in diesen Tagen seinen sechzigsten Geburtstag, und so habe
ich einzelne seiner Bücher einmal wieder in die Hand genommen und
mich an ihnen erquickt. Ja, es ist eine wahre Erquickung, sie zu lesen,
wie es eine Erquickung ist, aus der heißen, staubigen Stadt aufs Land
hinaus zu kommen, reine Luft zu atmen, grüne Bäume zu sehen, frisches

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2. Iuliheft 1S03
 
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