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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 16 (2. Maiheft 1903)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Die Illusion in der Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0203

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vie IUusion in cter Kunst.

Ueber Jllusion in der Kunst wird so verschiedenartig geurteilt,
-daß es sich wohl verlohnt, erst einmal dem Begriff selbst näher zu
treten. Fragen wir also zunächst allgemein: Was heißt Jllusion?

Jn der schulmäßigen Psychologie unterscheidet man bekanntlich
zwischen Jllusionen und Halluzinationen. Tritt, wie das bei Fieber-
zuständen oft geschieht, ein bloßes Phantasiegebilde so deutlich und
plastisch auf, daß es für ein wirkliches Ding gehalten wird, so sprechen
wir von einer Halluzination. Wird aber irgend ein durch die Sinne
wahrgenommener Gegenstand durch die normal oder krankhaft er-
regte Phantasie umgedeutet, wird etwa ein Strick für eine Schlange,
werden die sich reckenden Aeste eines Weidenbaums für die drohen-
den Geberden eines Räubers, wird das Rascheln des Laubes für ein
Flüstern menschlicher Stimmen gehalten, so haben wir Jllusionen
vor uns.

Jm alltäglichen Sprachgebrauch wird dann in erweiterter Be-
deutung jede Art Selbsttäuschung als Jllusion bezeichnet. Aber fast
immer wird sie als eine absolute vorausgesetzt. Sie schwindet in
demselben Augenblick, da sie durchschaut wird.

Solche absolute Jllusionen, also wirkliche Täuschungen und Ver-
wechslungen mit der Wirklichkeit treten indessen bei künstlerischen Dar-
bietungen nur in verschwindenden Ausnahmefällen auf. Denkbar sind
sie immerhin. Ein Werk der bildenden Kunst, z. B. ein Panorama,
kann — besondere Veranstaltungen vorausgesetzt —, einmal für ein
Werk der Natur gehalten werden. Bekannt sind ja die Anekdoten
vom Wettstreit des Zeuxis nnd Parrhasios; oder die Erzählung, es
hätten einst die Nachbarn Rembrandts zu dem Fenster seiner Woh-
nung hinübergegrüßt, an dem das Selbstbildnis des Meisters ge-
lehnt stand. Besser beglaubigt sind die Geschichten von Kindern, die
im Theater das lebhafte Bedürfnis zeigten, in die Handlung des
Stückes einzugreifen, weil sie den Vorgang auf der Bühne für ein
in Wirklichkeit sich abspielendes Ereignis hielten. So jener Knabe,
»der den Schauspielern, die auf der Bühne als Eltern den Tod ihres

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2. Maihest 1903
 
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