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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
DOI Artikel:
Lange, Konrad: Die Illusionsästhetik und ihre Gegner, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0448

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vie IUusionsäslkelik «nct ikre Gegner. 1.

Als die ersten weniger günstigen Rezensionen meines „Wescns
der Kunst" erschienen, konnte ich bei jeder genau angeben, bis zu
welcher Seite der Verfasser das Buch gelesen hatte. Das ergab sich
aus den Einwendungen und Bedenken, die er gegen meine Theorie
erhob, und die ausnahmslos von mir selbst in einem späteren Teil
des Werkcs vorgebracht und erledigt waren. Man darf eben im Beginn
des 20. Jahrhunderts kein zweibändiges Buch schreiben. Die Men-
schen haben jetzt so viel anderes und wichtigeres zu tun als Bücher
zu lesen. Wer hat Zeit, sich in eine so ausführlich begründete neue
ästhetische Theorie einzuarbeiten?

Leider ist es damit auch neuerdings nicht besser geworden. Zwar
kann ich mit der Aufnahme des Buches im allgemeinen sehr zu-
frieden sein. Es ist genau eingetroffen, was ich vorher gesehen hatte:
Meine Jllusionstheorie ist von vielen Lesern der verschiedensten Be-
rufszweige, besonders solchen, die sich nicht vorher ästhetisch enga-
giert hatten, als eine wahre Erlösung aus der Misere der unkünst-
lcrischen Sollästhetik begrüßt worden. Dagegen haben diejenigen, die
schon schriftstellerisch auf diesem Gebiete tätig gewesen waren, ohne
dabei der künstlerischen Jllusion zu gedenken, sie natürlich schlechthin
abgelehnt. Endlich ist sie von einigen Bertretern der „neuidealisti-
schen" Richtung, die sich durch mcine Betonung des realistischen Stand-
punktes getroffen fühlten, in halb ablehnender, halb anerkennender
Weise beurteilt worden.

Grade bei den ablehnenden Kritikern kann ich nun wiederum
nachweiscn, daß sie das Buch nicht ganz gelesen haben. Jch könnte
ihre Aeußernngen deshalb auf sich beruhen lassen. Aber das würde
den Anschein erwecken, als ob ich nichts dagegen zu erwidern wüßte.
Und so will ich mich denn an dieser Stelle in zwanglosen Artikeln,
so wie es die Gelegenheit bietet, mit ihnen auseinandersetzen. Der
Kunstwart wird wohl so freundlich sein, mir auch in Zukunft noch
einige Worte pro äomo zu gestatten. Heute möchte ich mich besonders
mit L. VolkmanrO) und K. O. Erdmann^) beschäftigen.

Schon meine Stellung des Problems will dem letzteren nicht
behagen. Für mich besteht die erste und nächstliegende Aufgabe der
Kunstlehre darin, die Ursache des Genusses an künstle-
rischen Schöpfungen zu ergründen. Hierüber wundert sich
Erdmann (S. 208), ohne eigentlich zu sagen weshalb. Jch meinerseits
wundere mich, daß er sich darüber wundert. Denn diese Aufgabe haben
sich doch alle Aesthctiker ohne Ausnahme gestellt. Schiller schrieb eine
Abhandlung über unser „Vergnügen" an tragischen Gegenständen.
Niemals — bis auf Tolstoj — ist meines Wissens ein Zweifel dar-
über laut geworden, daß die Kunst in erster Linie darnach strebe,
Lust zu erzeugen, und daß deshalb das eigentliche Problem der Kunst-
lehre darin bestehe, die Ursache dieser Lust zu ermitteln.

Freilich hat man neben diesem „niederen" Zweck der Kunst auch
immer von einem höheren gesprochen. Und dieser höhere Zweck spielt

^) Kunst für Alle S. srs ff. ^) Kunstwart S. 207 ff. Jch freue mich
übrigens, in vielen Punkten durchaus mit Erdmann übereinzuslimmen.

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Kunstwart
 
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