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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
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Lange, Konrad: Die Illusionsästhetik und ihre Gegner, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0449

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auch in meiner Jllusionstlieorie cine große Rolle. Nur vermische ich
ihn nicht wie früherc Acsthetiker mit ihrem Genußwerte, sondern suche
ihn als etwas streng davon Getrenntcs zu erfassen. Die Jllusions-
ästhetik in der Form, in der ich sie begründet habe, macht eine scharfe
Scheidung zwischen dem u n m i t t e l b a r e n Lustwert dcr Kunst, der
dem Künstler bewußt ist, den er gradezu anstrebt, und dem mittel-
baren Zweck, dem höheren biologischen Beruf der Kunst, der dem
Künstler bcim Schaffen nicht bewußt ist, wcnigstens nicht bewußt
zu sein braucht. Jenen führt sie auf die künstlerische Jllusion, das
heißt eine bestimmte Form des Erlebens, diesen auf die Er-
gänzung und Vervollständigung des menschlichen Daseins, auf die
Erweiterung und Vertiefung unserer Gefühle und Anschauungen zu-
rück. Die Absicht, Lust durch Jllusion zu erzeugen, ist nach der
Jllusionsästhelik der nächstliegende, unmittelbare Zweck des Knnst-
werks, die Ergänzung unseres Gefühlslebens, die wir bei der
Lückenhaftigkeit und Kümmerlichkeit unscres Daseins brauchen, ist die
selbstverständliche, aber vom Künstler nicht direkt beabsich-
tigte Wirkung jeder guten, das heißt illusionskräftigen Kunst.

Diese bciden Seiten der Jllusionsüsthetik muß inan sich beim
Urteil über dieselbe stets gegenwärtig halten. Sie sprechen sich, wie ich
glaube, in meiner abschließenden Definition (W. d. K. II. 60) deutlich
genug aus: Kunst ist jede Tätigkcitdes Menschen, durch die er sich und
andercn ein von praktischen Jnteressen losgelöstes, auf einer bewußtcn
Selbsttäuschung beruhcndes Vergnügen bereitet, das durch Er-
zeugung von Anschauungs-, Gefühls- oder Kraftvor-
stellungen zur Erweiterung und Vertiefung seines
geistigen und körperlichen Lebens und dadurch zur
Erhaltung und V e r v o l l k o m m n u n g der Gattung bei-
trägt." Diese, wic mir schcint, vorsichtig entwickelte und uuzweideutige
Defiuition, zu dcr ich nach Ucberwinduug mehrerer Zwischcnstufen
gelange, hat freilich Volkmann nicht verhindert, als meine abschlie -
ßende Definition eine der Provisorischen Definitionen zu zi-
tieren, bei der die gesperrten Worte noch fehlen! Er brauchte dies,
um nachzuweisen, daß mein Standpunkt den Vorwurf der „Aeußer-
lichkeit" verdiene nnd daß es ihm beschieden sei, durch eine „vertiefte
geistigerc" Ausfassung darübcr hinauszukommen?)

Um ja keinen Zweifel über meine Auffassung möglich zu machen,
habe ich diese Definition durch eine Ncihe von Betrachtungen vorbereitct,
von denen ich nur folgende (W. d. K. II. 47) hervorhebcn will: „Spicl und
Kunst müssen neben ihrem Lustwert für das Jndividuum cine höhere
Aufgabe haben, sie können nicht um der bloßen individuellen Lust
willen da sein. Es würe gewiß verkehrt, in ihnen nur ein leichtes
Genußmittel, eine zwecklose tündclnde und überflüssige Tütigkeit zu
crblickcn. . . Wer bchaupten wollte, Kunst und Jllusionsspiel wären
nur dazu da, dem Menschen dcn prickclnden Rciz der Jllusion zu

Volkmann redet sich neuerdings damit heraus, datz ich die von ihm
zitierte Definition in meiner Tübinger Antrittsoorlesung als .definitive" ge-
geben habe. Dcm gegenüber brauche ich wohl nur zu bemerkcn, datz es sich
dort nicht um das Wescn der Kunst, sondern um den ^Kern des künstlerischen
Genusses" handelte.

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