Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1903)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0297

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Größere werden. Die Bestimmung organischer Natur ist Ver-
edelung — und wer kann sagen, wo da die Grenzen sind? Des
Menschen Aufgabe ist es, das Chaos zu bändigcn nnd sein Leben lang
nach allen Seiten die Saatkörner des Wissens und des Gesanges
auszustreuen, auf daß Klima, Korn, Tier, Mensch milder werden,
daß die Keime der Liebe und des Wohltuns sich mehren tausend-
fältig.

Qiler-lur. Kunäsckau.

G Eine Reihe kurzer Ge- >
schichten mag „die vornehme Toch- !
ter" von Kurt Aram(Berlin,Fontane)
einleiten. Jch glaube nicht, daß Aram auf
die Mehrzahl dieser neun Gelegenheits-
stücke besonderen Wert legt. Sie lesen
sich leicht, manchmal zu leicht, streifen
auch ins Lockere hinüber, aber satirisch
frei oder auch mit tragischem Aus-
gange, wie in den beiden Geschichten
vom irren Drange junger Menschen aus
dcr Befangenheit bäuerlicher oder
städtischer Flegeljahre heraus. Eine
Charakterstudie von größerer Anlage
und tiefererBedeutung ist „DcrKnecht",
die Schilderung eines sehr gütigen
Menschen, eines Landpfarrers, dem
seine Güte nichts als Dornen trägt,
an dencn er sich schüchtern und ohne
Klage verblutet. Melleicht ist das
dörfliche Milieu etwas gar zu satirisch
bitter gesehen, gegen die folgerechte
Entwicklung dieser einen angeschwärz.
tcn Seite ist nichts einzuwenden. Jch
pcrsönlich lese dergleichen immer noch
lieber, als die kreuzbrave Schönfärberei
der so biederen Landbewohner; es
steckt mehr Ehrlichkeit, sichere Beobach-
tung und schließlich auch mehr Liebe
zum Gegenstande in solcher bitteren
Einseitigkeit.

Die Geschichten, die Wilh. Schmidt-
Bonn unter dem Titel „Uferleute"
(Berlin, Fontane, s Mk.) gesammelt
hat, bieten eine angenehme Ueber-
raschung. Der Verfasser schildert mit
voller cpischer Nuhe schlicht alltägliche
Begebenheiten aus dem Leben des
Volkes am untern Rhein: den Bremser,
der an die Frau des verunglückten

Kollegen die Todesnachricht zu bringen
hat; die alten Eltern aus dem Dorf,
die den studierten Sohn besuchen; den
Schmied, der den Deserteur beherbergt
und bauernschlau verbirgt; die Bäuerin
von Anno Dreizehn, die ihre Rache am
Franzmann nimmt, der ihr die Kinder
vergewaltigt hat; den kleinen Mann
aus dem Volke, der den seiner Frau
geraubten Kuß an den Studenten mit
Blut heimzahlt; die zwei Bauern auf
der Eisscholle im Strom, von denen
der cine den andern plötzlich hinunter-
stößt, um sich zu retten — man sieht,
der Verfasser strebt über das Zuständ-
liche hinaus zu Entwicklung und Ab-
schluß, und zwar vorwiegend zu ernstem
Abschluß. Das ist überhaupt öas Er-
freuliche an ihm, daß er bei allem
beherzten Glauben an das Gute im
Menschen die kleincn wie die großen
Nicdcrträchtigkeitcn, wie sie das Leben
so harmlos mit sich bringt, ehrlich und
anschaulich in seine Charakterbildcr mit
aufzunehmen weiß. Seine Leute spre-
chen das rheinländische Platt auf eine
sehr natürliche Art, ohne damit in die
Läng' und Breite dick zu tun, wie bei
Heimaterzählern oft. Man spürt selbst
aus minder gelungenen Stücken die
maßvoll abwägende Lebenseinsicht
eines tüchtigen Mannes heraus, dcr
weiter keinen Ehrgeiz hat, fortzurcißen,
sondern nur die stille Freude, eine kurze
Wcile zu führen. Groß ist diese Kunst
nicht, vertiefen und reifen wird sie sich
gewiß noch, aber auch so, wie sie ist,
wird sie viclen eine feinere Unter-
haltung sein.

Das Westerwälder Dorfleben schil-

t. Iuniheft tyoz

255
 
Annotationen