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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 18 (2. Juniheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Staatliche Autoritäten im Geistesleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0319

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8taatUcbe Iutoritäten im Geistesleben.

Der Goethetag, so tat man vor einiger Zeit der Welt zu wissen,
solle in Weimar dieses Jahr anders abgehalten werden, als bisher:
der Einzug des jungvermählten großherzoglichen Paares in Weimar
verlange das. Das gab Ernst von Wildenbruch zu denken, zu durch-
schauen und zu schreiben. Jn einer liebenswürdigen und frischen kleinen
Schrift „Ein Wort über Weimar", die eben bei Grote in Berlin er-
schienen ist, sprach er sich dann über Weimar, Goethetag und Groß-
herzog aus. Es sei ersichtlich, der Fürst vermeide den Goethetag, er
wolle an ihm nicht teilnehmen. Warum nicht? „Hält er den Goethe-
tag für etwas Wertloses? Dann würde er sich im Jrrtum befinden,
denn der Goethetag ist nicht etwa eine leere akademische Gepflogenheit,
die Tätigkeit der Goethegesellschaft bedeutet für unsere heutige deutsche
Literatur etwas ganz Bestimmtes, Wertvolles, ja Notwendiges: in unserer
heutigen Literatur, in welcher Richtungen und Strömungen nicht nur
von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, sondern mit unheimlicher Hast beinahe
schon von Jahr zu Jahr wechseln, bedeutet sie den großen ruhenden
Punkt, das Schwergewicht, ohne welches unsere Literatur zu fahriger
Spreu zerstieben würde." Der junge Großherzog nun habe mit dem
Goethe-Schiller-Archive zugleich die Tradition geerbt, die gelt' es
zu pflegen. »Diese Tradition — wäre es denn wirklich denkbar, daß
er sie nur als eine äußere Pflicht, gewissermaßen als ein lästiges Haus-
gesetz empfinden sollte, von dem man sich eben freimacht, sobald man
Macht dazu hat? — denkbar, daß er nicht empfinden sollte, daß sie
das durch die Jahrhunderte geweihte Erbe darstellt, das ihm von seinen
Ahnen, seinem Hause, von den Ernestinern überliefert worden ist, unter
deren Schutz und Schirm das unsterbliche Denkmal der deutschen Sprache
entstanden, der Grundstein gelegt wordcn ist, auf dem unsere heutige
deutsche Sprache ruht, die Bibelübersetzung Luthers?" Man müss' es
ihm sagen, ,daß es die Pslicht eines Großherzogs von Weimar ist,
dafür zu sorgen, daß eine Jnstitution, wie der Goethetag eine ist, nicht
verkommt, nicht abstirbt und elend unter der Gleichgültigkeit der gleich-
gültigen Menge erstickt! Daß es die Pflicht eines jeden, dem Hause der

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