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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 19 (1. Juliheft 1903)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0407

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kunctscbau.

Kiterslur.

G Seit Julius Mosens Geburt
smd am 8. Juli nun auch hundert
Jahre verflossen. Sein Name ist keiner
der grotzen unserer Literatur, aber ihn
einfach vergessen,wie das einigen unsrer
modernen Literaturhistoriker in ihren
Werken passiert ist, darf man denn
doch nicht. Schon deswegen nicht, weil
einige der volkstümlichsten Lieder des
neunzehnten Jahrhunderts: »Zu Man-
tua in Banden", „Der Trompeter an
der Katzbach', ,Die letzten Zehn vom
vierten Regiment' von diesem Sohne
desDoigtlandeö geschaffen worden sind.
Mosen ist aber überhaupt ein nicht zu
verachtender Lyriker — Bartels meint,
daß er auf der Linie von Wilhelm
Müller zu Mörike stehe, und gewiß,
er gelangt über Wilhelm Müller, bei
dem das Volkslied .wiederklingt",
hinaus, es ist ein eigener Ton, eine
nicht gewöhnliche Anschauungskraft,
eine selbständige Wärme in Julius
Mosens Gedichlen, wenn er auch die
Zartheit und vollcndete Harmonie
Mörikes so wenig wie die Prägnanz
von dessen Balladen erreicht. Dann
bedeutet Moscn auch für die deutsche
Novelle etwas: Wer auf diesem Ge-
biete beschlagen ist, dem wird nicht
entgehen, daß Mosens „Bilder im
Moose" das notwendige Mittelglied
zwischen Tieck und E. T. A. Hoffmann
einerseits und Stifter,Storm und Heyse
andrerseits bilden. Der große Zeit-
roman Mosens „Der Kongreß von
Verona' fteht dann gewissermaßen
zwischen Rehfues und Gutzkow, ist frei-
lich nur noch in Episoden lebendig.
Sehr mit Unrecht vergessen ist Mosens
epische Jugenddichtung „Ritter Wahn"
— der moderne Symbolismus könnte
sich beglückwünschen, wenn er ein solches
Werk aufzuweisen hätte —, und auch
Mosens „Ahasver" bedeutet etwas, er
ragt in der Jdee und teilweise auch im
Einzelwerk beispielsweise über Lmaus
weit bekanntere epische Dichtungen

empor. Ueberhaupt ist ein Zug zur
Größe in Mosen, und so hat er denn
auch das Schiller kraftlos nachahmende
oder Grabbisch lärmende Drama seiner
Zeit zum historischen Jdeendrama zu
erheben versucht, dies freilich auf Kosten
der unmittelbar packenden Realität.
Bekanntlich war sein Lebenslos dem
Heines ähnlich: Eine schwere Krank-
heit fesselte ihn jahrzehntelang ans
Lager. Er vermochte frcilich keinen
„Romanzero", wie Heine, von seiner
Pariser„Matrazengruft" in die Welt zu
senden, er gab nur noch eine Anzahl
patriotischer Gelegenheitsdichtungen.

D Aphorismen-Antholo-
g i e e n.

Man hat von lyrischen Antholo-
gieen gesagt, daß nichts leichter sei,
als eine schlechte, und nichts schwerer,
als eine gute Anthologie zu machen —
aber sehr viel anders liegt die Sache
auch bei den Anthologieen von Apho-
riSmcn nicht. Die erste Vorbedingung
zu einer guten ist klare Einsicht in das
Wesen des Aphorismus. Gedichte geben
sich nichr als Wahrheitsaussprüche, sie
tragen den Charakter der Stimmung
doch auch für deu Kurzsichtigen an der
Stirn. Aphorismen aber sind in sehr
vielen Fällen genau ebenso Ausdruck
von nichts andercm, als eben auch einer
Stimmung, ihre Form nur pflegt die
des Urteilens zu sein. Bereitwillige
Sammler nehmen sie leider trotzdem
auch als Urteile hin. „Geistige
Waffen" — der Titel des Buches,
das mir heut zur Besprechung vor-
liegt und das C. Schaible zum Ver-
fasser und Paul Waetzel in Freiburg i. B.
zum Verleger hat, deutet schon auf ein
Mißverständnis hin. Um „Gedanken-
rcsultate", wie Schaible dann in der
Vorrede sagt, handelt sich'S da in den
wenigsten Fällen, und so spricht man
einen Jrrtum aus, wenn man meint:
„Hiemit ist eine Menge von Auf-
schlüssen gewonnen, welche nicht nur

t. Iuliheft tdar

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