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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1903)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Die Illusion in der Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0267

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vie IUusion in äer Runsl.

(Schluh.)

Jm allgemeinen freilich wird die Jllusion ohne bewußte Ab-
sicht gestört. Es liegt ebenso oft am Unvermögen der Künstler,
daß eine Jllusion auch bei den Empfänglichen nicht aufkommen kann,
wie an der Unfähigkeit der Genießenden, sich in den seelischen Gehalt
eines Kunstwerkes zu vertiefen. Und da absolut vollkommene Kunst-
werke ebensowenig die Regel bilden, wie ästhetisch vollkommen ge-
bildete Zuschauer, so ist natürlich ein andauerndes Verharren, ein an-
dächtiges Versinken und völliges Aufgehen in der künstlerischen Jllu-
sion nicht eben häufig anzutreffen.

Es ist ja auch begreiflich, daß jeder wirkliche oder vermeint-
liche Mißgriff des Künstlers an Stelle der illusionüren Vorstellungen
und Scheingefühle die sehr realen Gefühle der Langenweile und des
Unbehagens auslöst, so daß die genießende Hingabe an den Jnhalt
des Kunstwerks in kunsttheoretisches Verhalten und kritische Reflexionen
umschlägt.

Am verhängnisvollsten ist es natürlich, wenn der Glauben an
den Schein zerstört wird, wenn irgend etwas im Kunstwerk unwahr-
scheinlich, unmöglich, unwahr erscheint. Wobei ich das Wort Un-
wahrheit natürlich nicht nur im Sinne des Naturalismus versteye,
sondern darunter jeden Widerspruch mit den Bedingungen der ein-
mal vorausgesetzten Umwelt begreife, mag diese nun cine phantastisch
romantische oder märchenhafte oder die normale und alltägliche sein.

Dabei sind es oft ganz nebensächliche Dinge, die die Empfan-
genden. aus der Jllusion reißen. Bei der Aussührung eines Lust-
spiels, der ich beiwohnte, spielte ein recht talentvoller Schauspieler
die Rolle eines vornehmen Aristokraten. Der arme Mensch trug aber
wohl infolge eines unglücklichen Zufalls einen ganz schlccht sitzen-
den Rock; und obgleich sein Spiel in allen wesentlichen Din-
gen, in Haltung, Sprache und seelischem Ausdruck einwandfrei war,
wirkte doch der Gegensatz zwischen den Reden und Handlungen eines
Grand-Seigneurs und dem Aeußern eines kleinstädtischen Ladenjüng-
lings so lächerlich, daß eine Jllusion nicht aufkommen konnte. Und
es hätte entweder eines Publikums von feinerer ästhetischer Bildung
bedurft, um von diesen äußerlichen Dingen abzusehen, und sich auf
das Wesentliche zu sammeln, oder eines ganz ungebildeten Zuschauer-
kreises, dem der Mangel in der Bekleidung nicht besonders aufge-
fallen wäre, und der sich daher von dem Jnteresse an der Handlung
nicht hütte abhalten lassen. —

Denn das möchte ich natürlich nicht behaupten, daß die Be-
sähigung und Uebung, leicht in Jllusion zu geraten, auch die Be-
gabung mit feineren künstlerischen Jnstinkten, das Verständnis für
die letzten Kunstabsichten des Schaffenden verbürge. Grade das
sog. ungebildete und ästhetisch wenig geschulte Publikum läßt sich am
leichtesten in der Jllusion festhalten und auch durch die gröbsten Un-
wahrscheinlichkeiten nicht daraus vertreiben, wenn es überhaupt erst
einmal durch den Hebel der Neugierde und Spannung in diesen Zu-
stand geraten ist; während umgekehrt grade der höher Entwickelte

t. Iuniheft

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