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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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Schäfer, Otto: Die ersten Elemente musikalischer Schönheit
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0084

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Phantasie unmittelbar zu einer Fülle, die frisch aus den Dingen selber
geschöpft ist. Er hat gar keine schriftstellerischen „Ambitionen", lange
Dokumente fort läuft sein Deutsch mit den beliebten Jnversionen und
dem falschen „derselbe" u. s. w. ganz in den amtsüblichen Papiergeleisen.
Vielleicht nur bei einer Wendung einmal ist es, als husche ein Blick
aus den Bismarckschen Augen über uns. Dann plötzlich zieht er den
Beamtenrock aus und spricht Bismarckisch. Und nun sprudelt seine
Sprache wie ein Quell aus der Tiefe. L. Ralkschmidt.

Oie erslen Slernsnle niusikaliseker Lekönkeil.

Den Begriff des Schönen hat noch nicmand bündig erklären
können. Darüber aber ist man einig, daß alles, was als schön gelten
soll, zunächst einmal zweckmäßig sein muß. Allerdings ist nicht alles,
was zweckmäßig ist, zugleich auch schön, wohl aber umgekehrt, und
nie und nimmer kann das Zwecklose, Sinnwidrige schön sein. Wenn
wir also für die Zweckmäßigkeit Gesetze aufstellen können, so gelten
diese auch für die Schönheit; denn was für den umfassenderen Be-
griff gilt, muß notwendig auch für den engeren gelten. Solche Ge-
setze werden häufig mathematische Minimumgesetze sein: zweckmäßig
ist ja das, was die gewünschte Wirkung mit einem Minimum von
Aufwand herbeiführt. Der Stamm eines Baumes „soll" die Krone frei
in Licht und Luft tragen und zugleich dem Winde nach allen Seiten
hin Widerstand leisten können. Als günstigsten Querschnitt liefert die
mathematische Rechnung den Kreis, und Mutter Natur hat, wie es
scheint, der Schönheit halber, in Wahrheit aber aus Zweckmäßigkeits-
rücksichten, die Bäume rund gemacht. Ein sehr merkwürdiges Bei-
spiel sind die Bienen, die ihre Zellen so bauen, daß mit möglichst
wenig Wachs und mit geringstem Platzverbrauch ein passender Auf-
bewahrungsort sür den Honig hergestellt wird. Von den Bienen sagen
wir, sic bauen in dieser Weise aus Naturtrieb oder Jnstinkt, von
Menschen würden wir in analogen Fällen sagen, sie tun es aus
Zweckmäßigkeitssinn, und dieser Sinn ist gleichbedeutend mit Schön-
heitssinn, wenigstens so weit die Begrisfe schön und zweckmäßig sich
decken.

Anstatt gleich nach dem „Zweck" der Musik überhaupt zu fragen,
wollen wir zunächst den Zweck eines einzelnen Tones betrachten. Der
tönende Körper soll die Luft in Schwingungen versetzen, diese wieder
unser Trommelfell und unsre Gehörnerven und zwar in irgend einem
Stärkegrade. Daraus ergibt sich also, daß derjenige Ton als der
schönste wirkt, bei dem eine bestimmte Erregung mit der geringsten
Anstrengung hervorgebracht wird. Und dies bestätigt sich in sehr
merkwürdiger Weise. Durch Messungen am Kehlkopf berühmter Sänger
und Sängerinnen hat man nämlich festgestellt, daß gerade bei be-
sonders schönen Stimmen der Luftüberdruck der Lunge, mithin die
Anstrengung besonders gering ist. Wie wohltuend es ist, eine mühe-
los und spielend ansprechende Singstimme zu hören, kann man im
Konzert oft beobachtcn, noch öfter ja freilich das „Gegenbeispiel" dazu.
Bei Violinen kann man eine ganz entsprechende Erscheinung in fol-

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