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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0083

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Seine Braut soll sich nicht etwa bemühn, eine .steife glatte Hecke zu
werden von Hause aus"; das Leben werde den Zuschnitt schon noch
besorgen. Um einen langweiligen Tropfen los zu werden, macht er „ein
Gesicht wie eine Gefängnistür", ein andermal fühlt er sich wie eine
„Karausche im Moderloch", odcr er schilt auf „diese Kammcramphibien".
Alt kommt er sich vor, „aktenmüßig. wie wenn ich nur auf Pappe ge-
klebt wäre'. Der Prediger gefällt ihm nicht, er „spricht immer so aus
dem Aermel^. Die geliebte Landesmutter — ,ein Ausdruck, bei dem
mir leider stets eine stämmige Frau vorschwebt, die Kindern Butterbrot
gibt." „Eine Depesche klingelte sich herein', der Hofjäger „rasselt
ungeduldig mit Schnurrbart und Säbel" ; ein „nur mit einem Bart
und mit einem Hemde bekleideter Portier" begegnet ihm. Jrgend ein
„prinLillon" werde sich schon finden lassen, dcr „sich zum Topfdeckel
hcrgibt". Die Sonne brennt, „als ob Tokayer auf dem Schiffe wachsen
sollte"'; die Nachtigallen „brüllen"; oder die Eisschollen „spielcn den
Pappenheimer Marsch". Meyerbeer macht „kranke, wütende Musik"',
eine Freundin singt „Leiermann, Wintcrreise". Die Luft in Friedrichs-
ruh füllt die Lungen wunderbar, ist „wie guter alter Wein im Vergleich
zu schalem Berliner Bier".

Charakteristischc Glossen und Vergleichungen dieser Art finden sich
in jedem Briefe, sie ziehen sich als cine lebcndige Kette durch die Ge-
spräche, sie marschieren, einigermaßen gebändigt und diplomatisch frisiert,
bis in die amtliche Korrespondenz hinein. Die „bureaukratischen Versatz-
stücke^ bedeuten auf einmal etwas, die „verheirateten Worte" sind ge-
schieden und durch ihre neue Stellung genötigt, wirklich etwas zu leisten
im Dienst der Mitteilung von Kopf zu Kopf. Der Stil ist im Grunde der
alte, weltmännisch verbindliche, nur um vieles straffer, sachlich bezeichnen-
der gehandhabt. Jn den intimen Briefen herrscht nicht selten die lapidare
Kürze der Depesche, aber langweilig wcrdcn auch diese kurzen, manchmal
nervös abgekürzten Berichte nicht, und wenn sie ganz nüchtern abgespickt
sind, irgend eine Zwischen- oder Schlußbcmerkung gibt ihnen Hintergrund
und Milieu. „Lynar frühstückt und grüßt" — heißt es einmal, er
hütte ihn ja auch nur grüßen lassen können. Der Brief über die Be-
gegnung mit Napoleon nach der Uebergabe von Sedan nimmt sich in
unsern begeisterungsfreudigen Zeiten zwar höchst dürftig aus, denn die
weltgeschichtliche Situation als solche ist nur ganz flüchtig gestreift, die
profane Wirklichkeit aufs genaueste geschildert. Wenn uns trotzdem die
riesigen Kontraste des Augenblicks voll, sogar höchster Kriegesstimmung
voll bewußt werdcn — woran mag das liegen? Vielleicht gar am
Verschweigen dessen, was jeder, der etwas ausdrückcn will, und der Künstler
im besondcren — sich hüten sollte zu besprechen? Wie weit sind wir
heute davon entfernt im öffentlichen Leben! Bonus hat ja erst vor kurzem
ausführlich über den pompösen Schwulst unserer Worte gesprochen.

Es könnte nichts schaden, wenn alle, die Bismarck bci jeder Ge-
legenheit im Munde führen, als Feinde oder als Freunde, sich friedlich in
der Betrachtung der Ausdruckswerte sammeltcn, die in seiner Sprache
leben. Er selber hat sich einmal im Reichstage einen „Anwalt des
praktischen Lebens" genannt. Das sollte für seine Politik gelten, für
seine Sprache gilt es gewiß. Der Zusammenhang mit der Natur, den
er mit Energie bis ans Ende sestgehalten hat, befruchtete auch seine

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