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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 22 (2. Augustheft 1903)
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Lose Blätter
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0589

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die Kirche, denn dort sollte der Jüngste getraut werden; so wollten
die Brüder es haben, weil beides im Grunde zusammen gehörte.
Hier sprach der Pfarrer, mein verstorbner Vater, über die Treue,
und er sprach so, daß ich, der ich zufällig hinzugekommen war, beim
Verlassen der Kirche meinte, daß seine Predigt eins sei mit den
Bergen und der See und der Großartigkeit der ganzen Natur.

G Die Vaclavbude. Ein Prager
Studentenroman von Karl Hans
Strobl. (Leipzig, Hermann See-
mann Nachf., 3 Mk.)

Jn besagter Bude haben die „Fran-
konen"' ihr Heim zur Zeit der Prager
Krawalle. Die Schilderungen ihres
Treibens muten ganz echt an, soweit
äußere Geschehnisse in Frage kommen.
Wie die Studenten im Wirtshaus
sitzen, Karten spielen, liebäugeln und
tanzen, wie eine Mensur ausgefochten
wird und eine nationale Kundgebung
verläuft, endlich die tagelange Prügelei
zwischen deutschen Studenten und
tschechischem Volk, das liest sich alles
recht flüssig. Nur, wo Strobl ver-
sucht, seine feuilletonistisch kurzweiligen
Momentbilder in eine organische Folge,
in tieferen.Zusammenhang zu bringen,
versagt er. Wenn er einen geheimnis-
vollen Fremden nachts zwei Uhr in
einem „Beisel' den halbbezechten Stu-
denten Tycho de Brahes Tod erzählen
läht, so klingt das so sauber wie ein
Gedenkaufsatz etwa der ,N. Fr. Presse*.
Und wenn er den einen Jüngling da-
nach eine Fortsetzung träumen läßt,
mit Blicken in die Gegenwart, Ver-
gangenheit und Zukunft, so klingt das
vortrefflich, aber auch unverkennbar
nach der Weisheit des Katheders.
Daß sich der Glaube Strobls an die
Zukunft seines Volkes erfülle, wollen
wir wünschen, obwohl die Jugend,
wie er sie uns schildert, und wie er
sie durch sein eigenesWerk kennzeichnet,
kaum dazu angetan scheint, diesen guten
Glauben wahr zu machen. L. A.

G Von Hebbels „Sämtlichen
Werken' ist die von R. M. Werner

besorgte historisch - kritische Ausgabe
(Berlin, B. Behrs Verlag) mit dem
zwölften Bande soeben vollendet wor-
den. Alles in allem ist sie als muster-
haft zu bezeichnen: wenn auch die älte-
ren, auf Emil Kuh zurückgehenden
Ausgaben dem gebildeten dcutschen
Dichterfreund und der Jugend auch in
Zukunft durchweg genügen werden,
der Hebbelverehrer und der Mann der
Wissenschaft werden nicht umhin können,
sich diese Wernersche Ausgabe anzu-
schaffen. Weniger Lob als die Aus-
gabe der Werke selbst, die historisch-
kritische Arbeit, verdienen die Einlei-
tungen des Herausgebers: wie auf die
meisten seiner philologischen Berufs-
genossen kann man sich auf ihn als
Aesthetiker,trotzdem er eindickesBuch
über die Lyrik zusammengebracht hat,
nicht recht verlassen. Das beweist auch
wieder dieser letzte Band. Werner
schreibt: „Hebbel wird nicht müde zu be-
kennen, wieschwerihm seine (ästhetischen
und kritischen) Aufsätze wurden, und ein
Blick in die wenigen erhaltenen Ma-
nuskripte bezeugt das deutlich: ste
wimmeln von Korrekturen, Umstel-
lungen, Zusätzen, kurz von Zeichen
einer mühsamen Produktion und stechen
von den Handschriften seiner Dramen
ganz merkwürdig ab. Mir will scheinen,
daß sich darin nicht etwa das Sprung-
hafte des Gedankenprozesses, sondern
die Zaghaftigkeit des Autodidakten (!)
äußert, denn auch dort, wo Hebbel
nur die Resultate langjährigen Nach-
denkens festhält, ringt er selbst im
Tagebuch beim Niederschreiben mit der
Form; ähnlich erging es ihm übrigens
beim Reden: wir wissen, daß er im

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