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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0082

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ein einfaches Attribut, richtig eingestellt, ein Licht rverfen auf Meilen-
weite. Radowitz als „geschickter Garderobier der mittelalterlichen Phan-
tafie des Königs', »Frankfurt, dieser Fuchsbau des Bundestages", König
Wilhelm, diescr »furchtlose Offizier auf dem Throne" — all das sehen
wir, wenn wirs lesen. Das Verhältnis Bismarcks zum Könige und
Kaiser wird sicherlich noch auf lange hinaus Gegenstand der Untersuchung
und Darstellung sein; es dürfte lange dauern, wo nicht überhaupt un-
möglich sein, es kürzer und schlagender zusammenzufassen, als Bismarck
es selber in den paar Szenen seines Buches getan hat. Auch die loyal
offenherzige Wiedergabe seines Verhältnisses zu andern Fürstlichkeiten,
wie namentlich zur Kaiserin Augusta, verrät das nämliche künstlerische
Talent.

Als die wertvollsten Zeugnisse dieser Begabung sind nns die
Familicnbriefe erhalten, enger: die Briefe an seine Braut und Gattin.
Jn ihnen spricht Bismarck ohne Publikum, ganz allein mit sich und
dem Nächsten, was er lieb hat, und es ist wohl kaum zu viel gesagt,
daß in diesen rein menschlichen Dokumenten der Schlüssel zu seinem ge-
samten Wesen zu suchen ist. Hier wirkt die Sprache als unmittelbarer
Ausdruck eines unablässig tätigcn Gefühls, das auf die kleinsten Anreize
so frisch wie auf die größten antwortet, eines Gefühls, von dem selbst
der nüchterne Realpolitiker Bismarck eingestehen mußte, cs wohne hinter
und über dem Verstande und leite ihn. Erst an dieser brieflich lockeren
Selbstbiographie werden wir inne, woher dem Diplomaten die Kraft
kam, Menschen und Dinge ohne Aufputz, nackt gleichsam und ganz
irdisch zu erkennen und als Triebräder zu nutzen. Er hat den Sinn
für das Kleine und Kleinste, und dieser Sinn ergeht sich zu Zeiten fast
andächtig. Jn den Momenten großer Erregung — und eine so kon-
vulsiv leidenschaftliche Natur wie die seine geriet ja oft genug außer
sich — nimmt er das Kleinste nicht nur wahr, sondern weiß es dann auch
so sachlich in seine Darstellung zu verflechten, daß durch den Kontrast
die Wirkung erst ihre volle Kraft erreicht. Unerschöpflich fast ist er in
Vergleichungen, und der trockcne norddeutsche Witz erhebt sich nicht
selten zum festen und auch feinen Humor. Die Politik, die langweiligen
Geschäfte mit Hinz und Kunz versteckt er nicht als ein geheiligtes Sonder-
wesen, nur, um nun ganz in der Familienliebe und -Freude aufzugehn,
sondern er spiegelt alles, in notdürftigen Umrissen äußerst kurzweilig ver-
arbeitet, und erleichtert sich so in der Stille, weil ers laut keinem an-
dern sagen kann. Natürlich sagt er auch seiner Frau nichts davon,
ob und wie er gedenke, dermaleinst Minister, Kanzler und was sonst
noch zu werden. Wahrscheinlich hat crs auch noch nicht gewußt damals.
Aber er sagt ihr doch so reichlich viel mchr, als man sich in Alltags-
briefen durchschnittlich zu sagen pflegt, und sagt es oft mit einer solchen
impressionistischen Meisterschaft, daß auch der persönlich ganz unbeteiligte
Leser heute noch den Wirbel dicser diplomatischen Lehr- und Wander-
jahre in ganzer Anschaulichkeit mitempfindet.

Ein paar Proben, die zu verstreut stehen, als daß man sie einzeln
darbieten könnte, die aber doch zu gut sind, um übersehen zu werden,
mögen folgen. Auf diesem Beruf, schreibt er, „lag damals noch für euch
der schöne blaue Dunst ferner Berge". Das Gewissen ist ihm ein
„Fühlhorn durch das Dunkel der Welt"; er selbst ist ^Gottes Soldat".

s,

2. Axrilheft isos
 
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