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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 18 (2. Juniheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Staatliche Autoritäten im Geistesleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0320

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Ernestiner Angehörigen ist, mitzuarbeiten, mitzuschaffen an dem Heiligtum
der deutschen Nation, an der deutschen Sprache! Man erzählt sich, daß
der junge Großherzog sich vor dem Goethetage scheue, weil er nicht be-
wandert genug in Goethes Schriften sei, um sich mit den »Goethe-
Philologen« unterhalten zu können. Kein Mensch verlangt das von
ihm. Das, was wir von ihm wünschen, wünschen müssen, ist einzig
und allein, daß er dabei sei, daß er durch seine Anwesenheit seine Teil-
nahme an der großen Sache bekunde, daß er sich vergegenwärtige, daß,
wenn er fern bleibt, er all die Elemente, die schon jetzt nur mit lauer,
halber Seele der Sache angehüren, zum völligen Abfall auffordert, weil
nun einmal der Goethetag, so wie er entstanden ist und zur Zeit noch
besteht, in dem Großherzog von Weimar sein Haupt erkennt, und weil
ein Körper abstirbt, wenn das Haupt versagt." Hierauf richtet Wilden-
bruch noch einige gute Worte an den Vorstand der Goethegesellschaft
selbst. Sie möge sich auch mit andern Dichtern befassen, nicht immer
nur mit Goethe. Wir könnten hinzuwünschen: sie möge dafür sorgen,
daß Goethes Lebenswerk auch wirklich fürs Leben ausgenutzt, nicht bloß
in Schränke und Kästen gesetzt werde, sie möge z. B. wirklich »prak-
tische" Goethebücher herausgeben, wie die kleinen Bodeschen, möge auch
dafür sorgen, daß Goethes Andenken sonst in wahrem Respekt gehalten
und daß z. B. aus dem Goethehaus endlich die Fleischersche und Eber-
leinsche Panoptikumsware hinausgeschafft werde — aber wir fürchten,
wir kämen mit unserm Ansinnen nicht an die richtigen Männer, und
wir gestehen, wir schätzen die Wichtigkeit der Goethegesellschaft für die
moderne Literatur leider mindestens um drei Vierteile niedriger ein, als
Wildenbruch. Davon aber wollten wir gar nicht reden. Auch nicht von
dem Benehmen des Großherzogs in dieser Sache. Der hat als ein
liebenswürdiger Mann Wildenbruch ausdrücklich für seine Ermahnung
gedankt und zugesagt: er werde zur nächsten Versammlung der Goethe-
gesellschaft samt seiner Gattin kommen.

Nein, von etwas anderem möchten wir sprechen. Liest man jene
von uns zitierten Stellen, so scheint sich daraus zu ergeben, daß Wilden-
bruch dem Großherzog für das Arbeiten, ja für das Bestehen der Goethe-
gesellschaft und damit, wie er's meint, für das Fortwirken Goethes in
unsrer Gegenwart selber eine gar gewaltig große Bedeutung beimißt.
Er verlangt von ihm keine intime Beteiligung, verlangt nicht, daß er
in Goethes Schriften gründlich bewandert sei — „kein Mensch verlangt
das von ihm", aber er fordert, daß er dabei sei, denn darauf komme
es an, „einzig und allein, daß er dabei sei." Denn ob der junge
Fürst mit dem Kopfe beteiligt sei oder nicht; der Goethetag erkenne in
ihm „sein Haupt", und so muß er hingehn, „weil der Körper abstirbt,
wenn das Haupt versagt.^ Jst das nicht wunderlich? Ein Fürst, auf
dessen Leib es ankommt, während des hohen Ehrenpräsidenten Gedanken
vielleicht schwimmen „fernab im Strome blauer Träumerei^ ? Und eine
Gesellschaft von Männern der Wissenschaft und Kunst, die nichts leisten
kann, wenn ein junger Fürst nicht hinkommt, gleichviel ob's ihn interessiert,
ob er mag oder nicht? Nun kommt das Merkwürdigste: Wildenbruch selber
wird bei der Sache sonderbar zu Mut. An einer anderen Stelle derselben
Schrift schreibt er: wolle der Großherzog nicht, oho, so müss' es auch
ohne ihn gehn. „Von deutschen Männern, im Jnteresse der deutschen

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