Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 18 (2. Juniheft 1903)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Staatliche Autoritäten im Geistesleben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0321

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Literatur ist die Goethegesellschaft begründet worden — Schmach und
Schande für Deutschland wäre es, wenn solche Männer nicht im Stande
sein sollten, aus eigner Kraft die materiellen und geistigen Hilfsmittel
aufzubringen, um ihr Werk am Leben zu erhalten —, wenn sie ihr
Werk zu Grunde gehen ließen nur deshalb, weil es am höchsten Orte
nicht das Verständnis findet, das sie dort zu finden erwartet hatten.
Dann wären wir keine Deutschen mehr, sondern Byzantiner." Freilich I
Wie aber reimt sich das mit dem zusammen, was unser Mahner ein
paar Seiten früher mit gleich ehrlichem Feuer gesagt hat?

Es reimt sich eben nicht damit. Und das führt uns auf unsern
Gegenstand. Denn wenn durch Wildenbruchs impulsive Art der innere
Widerspruch hier offensichtlich zu Tage tritt, so lebt der deshalb doch
nicht in ihm allein. Er lebt in tausenden. Er lebt in der ganz über-
wiegenden Mehrzahl aller, die unsere öffentliche Kunstpflege überhaupt
bestimmen, soweit sie nicht Republikaner sind. Jch denke an die Ver-
wirrung der beiden Vorstellungen: der Fürst ist Vertreter des Volkes
in all seinem Leben; und: der Fürst ist Vertreter des Staates. Jn
unseren öffentlichen Erörterungen bemerkt man eine klare Unterscheidung
dieser Begriffe wirklich nicht oft. Und doch ist sie unbedingt geboten.

Daß der Fürst der Vertreter des Staates ist, ist in einem
monarchischen Staatswesen selbstverständlich, und uns kommt es natür-
lich gar nicht bei, daran rütteln zu wollen. Für all die großen Jnte-
ressen der Allgemeinheit, die das Heer und das Beamtentum mit all
seinen Verzweigungen verkörpert, ist der Fürst in einem Staat wie dem
unsern die natürliche Spitze und für sie alle die nur durch das Gesetz
beschränkte letzte Autorität. Ob man das logisch gerechtfertigt findet
oder nicht, tut wenig zur Sache; selbstverständlich spielen „Fiktionen"
hinein und selbstverständlich kann auch bei solchen Dingen die letzte Autorität
mangelhaft unterrichtet oder sonst wie im Jrrtum sein, — vorläufig aber ist
unsere Gesellschaftsordnung nun einmal so aufgebaut und selbst vom
„Umstürzler" verlangt die Logik der Tatsachen, daß er aus den gegebenen
Voraussetzungen die Konsequenzen zieht. Man mag deshalb über Rang-,
Orden- und Titel-Verleihungen so geringschätzig denken, wie man will,
und wie dies im tiefsten Grund seines Herzens ja selbst ein Bismarck
getan hat — wo sich's um Verdienste innerhalb der staatlichen Ein-
richtungen handelt, innerhalb des Heeres und des Beamtentums, werden
sie gleich allen anderen Auszeichnungen von ^allerhöchster Stelle' zum
mindesten doch von zuständigen Autoritüten erteilt.

Gilt das aber auch bei Wissenschaft und Kunst? Gilt es über-
haupt bei geistiger Arbeit irgendwelcher Art außerhalb der Staats-
interessen? Wollte man diese Frage bejahen, so hätten wir's mit all
unsern geistigen Kämpfen beneidenswert leicht: wir könnten dann die
richtige Lösung aller Probleme einfach durch Anfragen bei der höheren
Jnstanz und äußersten Falles beim Fürsten erfahren. Schade, datz die
Dinge verwickelter liegen. Daß gerade die neuen guten Gedanken, die
»Keime der Zukunft" zunächst nur Einzelnen und dann Minderheiten
gehören, daß große Denker- und Kunstwerke erst allmählich verstanden,
daß Genies zumeist erst im Altern oder nach ihrem Tode erkannt
werden. Daß ihnen die Mehrheit selbst ihrer Fachgenossen zunächst
widerstrebt, wenn nicht etwa Beweise durch Rechnung oder Experiment

2. Iuniheft 2s:
 
Annotationen