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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 20 (2. Juliheft 1903)
DOI Artikel:
Göhler, Georg: Felix Draeseke, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0447

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hat. Jn jenem Heft sagen mir am meisten die »Sturmgedanken' zu; in diesem
ist mancherlei Schumann enthalten, auch ein Tristan-Motiv. Was tut'S? Man
sehe sich die ruhige Größe von Nr. 8 an und studiere im Einzelnen die vielen
Reize dieser stets innerlich gefühlten Kunst und man ivird auch in diesen ganz
bescheidenen Blättern die Handschrift eines Künstlers finden, der leider zu lange
von Wenigen nur geliebt worden ist.

Draeseke hat auch für andere Jnstrumente kleine Vortragsstücke ge-
schrieben, die bekannt zu rverden verdienen. Ox. eine Barcarole für
Violoncell und Pianoforte (L. Hoffarth), ist in ihrer ganzen Anlage und Tiefe
rvürdig, den schönsten langsamen Sätzen aus den besten Cello-Sonaten verglichen
zu werden. Warum ist dieses gar nicht schwere, tief elegische Stück, das an
Beethoven und Schubert erinnert, nicht einer der Lieblinge unserer Cellisten?
Auch Dilettanten ist's nicht dringend genug zu empfehlen wegen der schlichten
Schönheit und Stimmungsgewalt.

Auch die beiden Stücke für Horn und Klavier (Adagio ox 3t und Ro-
manze op. 32, Fr. Kistner) stehen weit über dern, was sonst in dieser Literatur
geschrieben zu werden pflegt. Leichter ist die Romanze, während das Adagio
den Gegensatz einer schweren Klage und freundlicher Erinnerungsbilder zu einer
höheren künstlerischen Einheit verbindet.

Alle diese Stücke sind offenbar ebenso Gelegenheitsarbeiten wie einige
der kleineren Chöre, von denen wir die vier Gesänge für vierstimmigen Frauen-
chor (op. 47, Rob. Forberg), das virtuose und entzückend humoristische Lhor-
stück ,Die Heinzelmännchen" (op. 4 t, Fr. Kistner) und drei Männerchöre (op. 28,
Fr. Kistner) erwähnen.

Weit über diesen stehen die geistlichen Gesänge (ox. 55, 56, 57, Otto
Junne), die den Vergleich mit Brahms' Chören, ja selbst mit den Meisterwerken
der Glanzzeiten des a eaxxella-Satzes aushalten. Op. 55 ist ein Lalvmn tao
reZeio für sechs Stimmen, das auf das deutlichste beweist, wie kontrapunktisch
reicher und strenger Satz die Klangwirkung steigert. Für große Chöre ist dieses
majestätische Stück eine ebenso dankbare Aufgabe wie der noch kunstvollere
Psalm 93 (ox. 5ü), der ebenso hinreißend in der kraftvollen Auffassung des
Textes wie in der meisterhaften Deklamation und der bewundernswerten Kunst
des Satzes ist. Ox. 57 enthält in einem Offertorium und drei Gradualen so
viel kirchlich tief empfundene Musik, daß man fast Unrecht tut, wenn man das
letzte Graduale: In äis allAustias wegen der Jnbrunst seiner Stimmung als
das schönste bezeichnet. Die Sätze müßten zum täglichen Brot aller besseren
Chöre gehören. Statt dessen hat der Verleger jahrelang die Partituren an-
geboten, ohne daß ein Mensch Stimmen dazu verlangt hätte, die jetzt zu allen
den Chören vorliegen. Wen's angeht, der nehme sich also schleunigst dieser
Kunstwerke an und erziehe seinen Chor und sein Publikum dafürl

Georg Göhler.

35t

2. Iuliheft t?02
 
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