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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
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Göhler, Georg: Felix Draeseke, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0446

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zeugungskraft gibt, wie sie uns in den Dämmerungsträumen (op. Bote L Bock)
trotz des freieren Aufbaus nicht erreicht zu sein scheint. Jn den Sechs Fugen
(ox. is, ebenda) findet sich nicht blotz theoretisches Können, sondern eine sehr
ausgesprochene Fähigkeit, auch in dieser Form Charakterstücke für Klavier zu
schreiben, wie das Bach im Wohltemperierten Klavier getan hat. Von diesem
Standpunkt aus verdienten diese Stücke auch im höheren Klavier-Unterricht
beachtet zu werden.

Sehr feine Gaben lyrischer Kleinkunst enthält die Sammlung ,Was die
Schwalbe sang" (ox. 21, Fr. Kistner). Das technisch leichteste Stück des sonst
nicht ganz einfachen tzeftes, Nr. s „Abschied ohne Ende', halte ich für eine der
allerbesten und kostbarsten Perlen intimer Kunst. Der sprechende Ausdruck
dieser mit entzückender Gefühls-Feinheit und Echtheit geschriebenen Musik ist
freilich nur zu geniehen, wenn man sich in der Stille in ihre Stimmung ver-
senken kann. Jmmerhin ist Alles bisher Genannte erst dann auch Dilettanten
zugänglich, wenn sie auf den Tasten des Klaviers schon gehörig zu Hause sind.
Damit im Unterricht der Name Draeseke nicht ganz fehle, empfiehlt es stch, zu
den Miniaturen (6 Klavierstücken op. 25, Rob. Forberg) zu greifen, die technisch
und geistig geringere Anforderungen stellen und gleichzeitig zeigen, wie der als
spröder Musikunmensch verschrieene Draeseke kindlich lustig sein kann. Für das
beste Stück halte ich die Menuett (im ersten Heft), die ein Genrebildchen ent-
zückendster Art ist und jüngeren Klavierschülern nebenher Gelegenheit gibt, sich
in etwas modernere Harmonik einzuleben als ihren Ohren sonst erklingt. Für
den Unterricht bestimmt sind auch die Kanons zu sechs, sieben und acht
Stimmen (!) für Pianoforte zu vier Händen (op. z?) und die Kanonischen
Rätsel, ebenfalls für vier Hände (op. ^2). Beide bei Fr. Kistner erschienenen
tzefte zeigen Draeseke als Spezialisten musikalischer Kunstfertigkeit. Es gibt
Leute, besonders unter den Grünwagnerianern, die auf solche Fertigkeit mit
mitleidiger Verachtung blicken, naserümpfend: »Jadassohn* sagen und mit
Augenaufschlag das Leitmotiv von der Freiheit musikalischen Empfindens
singen. Dah viele derartige, meist auch sonst ungebildete Naturen seit zehn,
zwanzig Jahren das grohe Wort führen und für ihren eigenen und ihrer
Freunde Musikbrei Reklame machen, das hat dem Bekanntwerden Draesekes
sehr geschadet. Die in Frage kommenden Sachen — ich erinnere gleichzeitig
nochmals an op. 13 — sind keine unsterblichen Werke, sind zum Teil Studien-
ergebnisse. Aber wenn Draeseke nicht derlei gekonnt hätte und nicht imstande
wäre, selbst solche Aufgaben mit Phantasie zu lösen, dann hätte er eben nicht
seine grohen Werke schreiben künnen, die einst Leben haben werden, wenn von
seinen jetzt lebenden Verächtern längst Niemand mehr redet. Man sagt so gern,
dah die Reflexion bei musikalischer Arbeit Gefühl und Phantasie hemme, und
vergißt, dah die auch in der musikalischen Charakteristik noch nicht überbotenen
Leistungen der Meister des 16. Jahrhunderts, dah die Werke Bachs, Hündels
und Beethooens gänzlich undenkbar wären ohne eine Unsumme rein musikalisch-
technischer, d. h. verstandesmähiger Arbeit. Das Ergebnis, das darum bei
jenen durchaus nicht nüchtern war, braucht's auch bei den Neueren nicht zu
sein, wenn sie wirklich etwas zu sagen haben und Persönlichkeiten sind.

Aber wir kommen ab. Von der künstlerischen Persünlichkeit Draesekes
wird erst dann zu reden sein, wenn seine großen Werke zu betrachten sind.
Von den kleinen Klaviersachen bleiben nur noch die Rückblicke (fünf Stücke
op. qz, Fr. Kistner) und die neun Albumblätter zu erwähnen, die der Komponist
unter dem Titel .Scheidende Sonne" als ox. -1-1 (L. Hoffarth) zusammengefaht

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