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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 20 (2. Juliheft 1903)
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Bartels, Adolf: Rosegger und die Heimatkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0442

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Wasser rauschen zu hören. Die Kulturbedeutung der Stadt bestreiten
wir ja darum gewitz nicht, weil wir noch die veraltete Ansicht haben,
datz sie im Grunde vom Lande lebt, daß sie mehr als blotz die ma-
teriellen Nahrungsmittel, datz sie auch ihre Lebenskraft, die körperliche
wie die geistige, zuletzt eben doch vom Lande bezieht, daß eine rein
städtische Kultur, Stadt ohne Land, wo sie sich doch herausbildete, der
Anfang vom Ende eines Volkes wäre. Bleiben wir auf dem Felde der
Kunst. Das ist ja sicher, datz die städtische Kultur die Kunst vielfach be-
reichert und verfeinert hat, aber heute nach Ausbildung der Groß-
stadt lätzt sie ihr nur noch zwei Möglichkeiten: entweder die Masse dar-
zustellen, und dabei ist eine grotze Monotonie auf die Dauer unvermeidlich,
oder zu den „allerindividuellsten" Dingen fortzuschreiten, und dabei stellt
sich leicht Ueberreizung, Gesuchtheit, Unnatur ein, — ich denke, wir
hätten beides erlebt. So also mutz auch die Kunst wieder hinaus aufs
Land, immer einmal wieder, und es kommt auch ganz von selbst dazu;
denn, gottlob, so lange ein Volk sich noch nicht völlig selbst verloren
hat, hat auch seine Kunst gesunde Jnstinkte. Aermer, beschränkter ist die
„Kunst vom Lande^, die Stammes-, die Heimatkunst keineswegs, man
muß nur nicht blotz das Land als solches mit den Augen des Städters
schauen, sondern die Landschaft, die Landschaften, wie zumal wir Deutschen
sie ja in größter Mannigfaltigkeit haben, und es ergibt sich ein unend-
licher Reichtum, viel mehr Besonderes, als es städtische Kultur wenigstens
in neuerer Zeit zustande bringt. Aber selbst, wenn das Land an Stoffen
für die Kunst ärmer wäre, die gesundere, frischere Luft, die größere
Einfachheit oder auch „Menschlichkeit" der Motive würde dafür Ersatz
bieten. Doch glaube ich nicht an die künstlerische Armut des Landes,
eben auch im Hinblick auf Rosegger nicht, der zweifellos einer der
reichsten deutschen Dichter ist und fast jedes Problem, das die moderne
Menschheit bewegt, in seine Dorfwelt ohne künstlichen Zwang hat
hineinsetzen, besser, aus ihr hat herausbilden können.

Wollen wir vergleichen, um deutlicher zu sein, so müssen wir hier
bei Rosegger den grotzen Schatten Jeremias Gotthelfs heraufbeschwören,
der im Beginn der modernen realistischen Stammeskunst steht, wie
Rosegger an ihrem Ende. Die beiden, der Schweizer und der Steirer,
sind völlig verschiedene Naturen, aber ihre Stellung zu ihrem Volke und
in der Literatur ist so ziemlich die gleiche. Beide sind nicht ausgesprochene
Künstler, so grotz auch ihr Können zweifellos ist, beide wollen etwas,
wollen ihr Volk erziehen, es ihm selber im Bilde zeigen, um es zu
bessern, zu fördern, kurz sie sind Volksschriftsteller im allerbesten Sinne;
denn nicht durch erlogene Jdealbilder, wie sie die Aufklärung hinzustellen
liebte, wollen sie wirken, sondern durch die Wahrheit. Auch die andern
Völker haben ähnliche Erscheinungen, ich erinnere an Tolstoj und Zola,
aber unsere Deutschen, mögen sie auch weniger grotz sein, »forcieren^
nicht so, geraten nicht so leicht ins Extreme, vermeiden die Messias-
und Reformatorengeberde, sind milder, haben vor allem auch Humor.
Das ist bei dem stürmischen, derben Gotthelf ebensogut der Fall, wie
bei dem sanfteren, feinen Rosegger, und ich glaube, es liegt an ihrer
bäuerischen Herkunft — auch der Berner Pfarrer Bitzius war zuletzt
Bauer —, die begabten Einzelnen ein größeres Matz gesunden, heiteren
Sinnes vsrleiht, als es aristokratische oder grotzstädtisch - bürgerliche

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Ranstwart
 
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