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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Klopstock und Claudius
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0014

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Mannes gebeugt. Und wic steht es heut, ein Jahrhundert abermals
später? Jst es nicht immer noch derselbe sonderbare Widerspruch:
wer liest ihn, aber wer lobt ihn nicht?

Wenn ein Lehrer, dem das Begeistern gegeben ist, jungen Seelen
Klopstocks Größe aus echter Ueberzeugung heraus an seinen Werken
predigen wollte, möglich, daß es ihm auch heute noch in seinem
Kreise gelänge, die Flammen aus dieser glimmenden Asche zu einer
Lohe zu bringen, in der Klopstocks Dichtung leuchtete wie ungemischtes
Gold. Wem wäre damit gedient? Sänken die Flammen dann wie-
der, so würde in unsicherm Flackerlicht alles als Asche erscheinen,
was Klopstock einst gab. Uns wenigstens, die wir aller Zeit und
allen Ortes was noch lebt zu finden suchen, uns wenigstens ziemt
es wohl, auch in der großen Hinterlassenschaft so unbefangen wir's
eben können, zu sichten.

Weshalb die ersten Gesänge dcr Messiade, weshalb Klopstock
überhaupt so schnell und so stark auf seine Zeitgenossen wirkte, das
zu begreifen ist wohl nicht schwer. Freilich, die gebräuchliche Vor-
stellung werden wir aufgeben müssen, gerade wegen des Neuen,
das mit ihm auftrat, hab' er alle Herzen sofort erobert. Das wider-
spräche ja aller Psychologie des Erfolgs. Jn Wahrheit siegte Klop-
stock so schnell, weil er auf einem geebneten Wege mit sich riß, aber
freilich, er führte weiter, als der Weg schon geebnet war. Als der
Jüngling in der berühmten Abschiedsrede von Schulpforta vom Sehnen
uach dem deutscheu Heldengesange sprach, sprach er damit wie Vielen
schon aus dem Herzen; eine „Uranias" von Adams Fall und der
Erlösung durch Christus hatte schon Leibnitz entworfen; Milton ward
bewundert überall, und auch nachzuahmen versucht; Händels „Messias"
klang sieben Jahre vor dem Klopstocks in diese Zeit, die von reli-
giösem Fühlen gesättigt war. Auch ihre besondere Art der Heiter-
keit klang in Klopstock noch weiter, man denke nur an die Ode vom
Zürichersee, auch die anakreontische Lebensfreude. Und manches so-
gar von dem, was uns heute an ihm stört, erleichterte gerade seinen
Erfolg, so, was Klopstocks inniger Bewunderer Vilmar „auf mög-
lichst schonende Weise seine Weichheit" nennt, dieses tränenselige
„Schwimmen in Empfindungen", zu dem die besseren aus einer im
Zeremoniell vertrockneten unwahrhaftigen Gesellschaft kamen, bis ihr
Sinn für das Wirkliche dabei ertrank. Das aber weckte ihm Wider-
hall wie keinem zuvor: seit langer, langer Zeit zum ersten Male
empfand man bei einem Dichter hier Ernst, empfand man hier
Leben. Wir lächeln darüber, wenn selbst Bodmer, der Treffliche,
erstaunt sich seines Gegners Lessing annimmt —, als einer sagt,
Mensch und Dichter müsse doch einer sein. Aber der das sagte,
war ein Querkopf dazumal, man dichtete bisher mit dem „Witz",
nnd als Beleidigung hätt' es der Mensch empfunden, hätte man ihm
gesagt: das mußt du doch fühlen, weil du, der Dichter, es schreibst.
Wir verstehen das Empfinden jener Zeit eher, wenn wir uns vor-
stellen, ein Shakespere etwa lehne es ab, als Mensch für Richard III.
zu gelten, weil der doch auch mit dem Jch nachspricht, was Shakespere
als Dichter ihm vorsagt. Man betrachtete damals die Lyrik noch nicht
als im Wesen verschieden von Dramatik und Poesie. Mit Klopstock

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