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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 13 (1. Aprilheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Klopstock und Claudius
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0015

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Plötzlich tritt einer auf, der nicht spielt, nicht tändelt, sondern fühlt,
zum ersten Male seit langer Zeit ist die Dichtung wieder Natur.
Und die Oden hielten, was der Messias versprach. Es war kein
Sesseldrücker, der hier sang, es war ein Mann, der auch mit dem
Leibe lebte, der Schlittschuh lief und trank und jugendfrisch küßte,
ganz wie er's sang, und wenn er ernst und fromm sang,
nicht minder davon überzeugte, wie wenn er's weltfreudigen
Mutes tat. Es war ein Mann, der so weit abtrat vom Begriffler-
tum der bisherigen Poeterei, daß er allein und ganz allein dem
Gefühl das Richtamt zusprach über schön oder häßlich. Da scheint
die Dichtung mit einem Male denn wirklich was Andres zu sein,
und ob all ihre Grundlagen die alten sind. Was bisher leer war,
nun ist es gefüllt, mit den Versen strömt durch das tote Buch aus
dem Menschenherzen her das belebende Blut — ist's wunderbar, daß
ein heißes Dankgefühl gegen den Bringer solcher Güter in allen
deutschen Landen reißend schnell aufwuchs?

Und dann ging es ja weiter zu neuen Höhen. Die wenigeu
Probcn schon, die wir in den „Losen Blättern" aus der Messiade
und den Oden bringen, beweisen, daß Klopstock eine Kraft des
Aufschwungs hatte, wie nur die Größten. Zu Erhabenheiten
christlicher Vorstellungen so hoch wie nur ein Fittich fliegen konnte.
Aber auch zu Höhen des völkischcn Bewußtseins, des Bewußtseins
vom Deutschtum, das frohere und stolzere Ausschau in die Weite bot,
als sie irgend ciner scit Jahrhundertcn gezeigt hatte. Es war köst-
lich, da mit hinaufgerissen zu werden, wie von einem Wecksturme
im März. Aber nun, ach, nun kam, was das Wort vom vielen Loben und
wenigcn Lesen leider zum wahren Wort machte: es war sehr schwer,
droben bei Klopstock zu bleiben. Der konnte die Geister herrlich
rufen, aber nicht bannen.

Man könnte sagen: das wär' über menschliche Kraft überhaupt
gegangen. Es sei unmöglich, Nerv und Seele dauernd in der stärksten
Anspannung zn erhalten, die das innige Miterlcben der höchsten
Erhabenheiten verlangen würdc. Es ist auch unmöglich, deshalb
brauchen wir, um in solchem Aether zu leben, zu Kontrasten Mit-
gaben aus den tieferen Regionen, neben Johanna den Talbot, neben
der Gralsburg Klingsors Schloß, neben Gott den Mephisto. Aber
Klopstock verachtete wie den alten so den ncuen Faust, in seinem
„Messias" sprechen auch die Teufel nicht irdisch und unterirdisch,
sondern nur erhaben in langhinrollenden Tiraden. Und überhaupt,
sie sprechen nur. Wie einsame Jnseln liegt das wenige Gestaltete,
aus dem unsere Proben gewählt sind, umbraust oder nur umplätschcrt
von kaum übersehbarcn Redewellcn. Und auch in den andern Ge-
dichten ist's immer der Mangel an gestaltender Phantasie, was es
so mühsam macht, dem Schönen, das der Mensch Klopstock em-
Pfindet, bei dem Dichter Klopstock zu folgen. Klopstocks Lieder, hat
Lessing gesagt, sind so voller Empfindung, daß man oft gar nichts
dabei empfindet. Nicht aus diesem Grunde natürlich empfindct man
nichts, sondern weil wir von den Empsindungen immer nur hören,
oft bis zur Betäubung hören, mit anderen Worten: weil sie nicht
durch die Anschauung ihrer Ursache in uns selber geweckt werden.

i- Aprilheft tyoz ^
 
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