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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Kalkschmidt, Eugen: Bismarcks Sprache als Ausdruck
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0080

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Brustklang, der nicht nur die körperlich anwesenden Hörer mitriß, svn-
dern die gläubigen Gemüter allerorten und allerzeiten immer noch ein-
gefangen hat.

Aber keine Nede als Ganzes ist eine Redensart, selbst wcnn er sie
mit Redensarten ausstattet. Politisch wie rednerisch ist cr von Anfang
an Ncalist, und so sticht er merkwürdig ab aus dem schwungvollen Ge-
tünimel der vormärzlichen wie der Zcit des Konflikts. Er ist das grade
Gegenteil von dem, was man damals einen hinreißenden Redner nannte.
DieRadowitz,Vincke,Gagcrn,Gerlachkonntenihren Flug garnicht hoch genug
nehmen, der König selber licbte den Rausch und den hohen Ton am
Worte. Wie roh, wenn dagegen Vismarck, dieser „rote Neaktionär",
die hohe Diplomatie in Vergleich mit dem Pferdehandel stellte, wenn er
die „gleichmachende Heckenschere" aus Frankfurt vom preußischen Adler
fern halten wollte, wcnn er die „weinerliche Sentimentalitüt des Jahr-
hunderts" sarkastisch bespöttelte! Bilder braucht auch er, aber er nimmt
sie, wie er sie beguem findet, er sucht sie nicht, er dekoriert nicht lange,
hier ein Kränzlein und dort einen Strauß, er zupft die Blüten nicht
einzeln hervor, um sie dann als Maßlieb und Rittersporn säuberlich
auszndeuten bis in ihre sernsten Beziehungen hinein. Sondern er sagt:
die Sache liegt so und so, im Bilde gesprochen etwa so. Die preußische
Krone soll nicht machtlos, nicht nur als „zierlicher Kuppelschmuck dcs Staats-
gebäudes" crscheinen wie die englische. Wcnn cr das „Narrcnschiff der Zeit
am Felsen der christlichen Kirchc" scheitcrn zu sehcn hofft, so klingt das fast
schon zu rednerisch für ihn. Aber ganz ist cr in seincm Elcmcnt, wenn
er eine rhctorische Floskel des Gegners so drehcn kann, daß sie, mit
plötzlicher Sicherheit und Schürfe ausgerüstct, dem Absender sehr unver-
mutet und empfindlich wieder zufliegt. Erheiternde Beispiele finden sich
in den „Losen Blättern". Was ihn in allen diesen Wortgefechten stützt
und schnell überlegen macht, ist seine gute Gabe, sosort im Bilde zu sein,
die fremde Vorstellung an der eigenen Wahrnehmung zu messen, uud
klare bildliche Anschauung zu geben. Der abstrakte Begriff, das papierene
Schlagwort empfangen Fleisch und Blut, werden gegenständlich.

Bismarcks Volkstümlichkeit als Ncdner bcruht natürlich auf solchen
belebten Schlagworten und nicht etwa auf seinem Besten. Nicht Rcden
und Majoritätsbeschlüsse — »Eisen und Blut" entschieden die großen
Fragen der Zeit; ^sctzcn wir Deutschland, sozusagen, in den Sattel!
Reiten wird es schon künnen." .Nach Canossa gehen wir nicht!" Die
ganze Angelegenheit ist „die gesunden Knochen eines pommcrschcn Mus-
ketiers" nicht wert. „Nationale Ehre geht einem Volk wie dem unsern
über alles." Weitere Beispiele findet man alljährlich in den vielen
schönen patriotischen „Begeisterungsreden", in den Leitartikeln der staats-
erhaltenden Presse, besondcrs um die Zeit von Kaisers Geburtstag und
Sedan. Man mag nun dicse geflügelten Worte mehr oder mindcr an-
fechtbar finden ihrem tatsächlichcn Jnhalt nach, einen gewissen Situations-
wert haben sie immer, und selbst die erschreckliche Phrase von den furcht-
loscn Deutschen stcht nicht aus rciner Freude am rollendcn Brustton
da, sondern sie dicnt als cine Art flatterndes Fahnentuch dem schr ge-
schickt berechnetcn Zwecke politischer Suggestion nach innen, politischer
Demonstration nach außen. Es wäre unfruchtbar, solche Schlagworte
und etwa dic schallende Poesie der Nationalhymnen einseitig auf üsthe-

»S

2. Axrilheft 190z
 
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