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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 14 (2. Aprilheft1903)
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Avenarius, Ferdinand: Theaterzensur
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0077

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biete auch das Vorlesen, verbiete dcn Blättern davon zu schreiben.
Dann gibt es noch den Verkehr von Mund zu Mund und durch
den Brief von Hand zu Auge — immerhin, es mag gelingen, das
Wort zu ersticken. So stand es früher auch bei uns. Jetzt haben
wir freie Zeitung und freies Buch, uud rings um Preußen herum
auch freies Theater. Da ist die vorbeugende Zensur nichts weiter,
als eine Ableitung in andere Kanäle, nur daß in denen die Wasscr
viel munterer zum Sprudeln kommen, als durch den Zufluß allein
bewirkt werden könnte. Wer nicht Prinzipien reiten, wer prak-
tische Politik treiben will, der muß, mein' ich, schon deshalb gegen
die Theaterzensur sein. Sie ist ein rudimentäres Organ geworden,
wie die vielberühmte Appendix am Blinddarm, und wie diese ein
gefährliches.

Und was diese Theorie verlangt, erweist ja auch schon die Praxis
als wahr. Wenn Württemberg und andere Bundesstaaten, wenn
Hamburg, die zweitgrößte Stadt des Neichs und eine von demokra-
tischen Elementen so reich durchsetzte, wenn Bremen und andere ohne
die vorbeugende Zensur auskommen, ohne daß wir deshalb je über
Unzuträglichkeiten klagen hörten, so wird's in Preußen wohl ebenso
gehn. Jst doch das Theater damit nicht etwa übers Gesetz erhoben.
Jm Gegenteil: der Bühnendirektor, der keine Verantwortung und
kein Nisiko auf den Zensor abwälzen kann, der nun viel enger zu
hasten hat für das, was auf seineu Vrettern geschieht, kommt mit
irgendwic „zweifelhaften" Stücken in eine viel schwierigere Lage als
bisher. Man mag bei Sünden, die das Gesetz bedroht, nicht nur mit
lächelnder Eindringlichkeit der Seele seines Geschäfts zustreben, die
in der eisernen Kassette sitzt, man mag auch ihn selbst, wenn's not
tut, hinter gute Schlösser stecken. Und wenn im Gesetze Lücken sind
— wir sprechen bei andercr Gelegenheit von welchen, die wir zu
seheu glauben —, nuu wohl, so mag man sie stopfen. Die Theater-
leute sind in ihrer großen Mehrzahl sehr fern davon, einen Zustand
ohne vorbeugende Zensur zu ersehnen, wir haben guten Grund zu
der Annahme, daß in dieser Beziehung selbst an der Entrüstung der
jetzt Betroffenen nicht alles echt ist. Und das muß ihnen auch zu-
gegeben werden: es geht nicht an, daß das Theater fortan cinfach
unters Versammlungsrecht falle. Es geht nicht au, daß der Polizei-
leutnant aufstehen und die Fortsetzung des Spiels untersagen dürfe
oder daß man den Mimen für Verfasser oder Direktor büßen lasse.

Uns scheint es, die Verhältnisse drängen hier nach einem eigenen
T h e a t e r g e s etz. Es zu gcstalten, wäre Sache der Gesetzgebcr, seine
Grundlagen festzulegen, ist abcr kaum sehr schwer. Die Präventiv-
zensur als Zwang dagegcn müßte unsers Erachtens auch in den
letzten Resten abgeschafft werden, schon weil sie ein untaugliches Werk-
zeug geworden ist, das den, der's braucht, in die Hand schneidet und
was er verwerfen will, aussät. Mit dem objektiveu Verfahren nach
Art Oesterreichs kommen wir überhaupt kauin weiter. Ueber eine
Art fakultativer Präveutivzensur dagegen ließe sich im Jnter-
esse der Bühnenleiter selbst reden, man könnte ihnen vielleicht, um
sie vor Verlusten durch nachträgliche Derbote zu schützen, eine vor-
herige Einreichnng ihrer Stücke bei einem aus Beamteu und Sach-

se

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