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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 15 (1. Maiheft 1903)
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Göhler, Georg: Musikpflege und Tagespresse
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0144

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Darum scheint es mir zunächst noch als der geringste
Fehler, wenn eine Tageszeitung alle Kunst als nicht in ihre Ge-
schäftsspalten gehörig absolut ausschließt, und es ihren Lesern über-
läßt, so weit sie danach Bedürfnis haben, sich künstlerische Anregungen
zu holen, wo sie wollen.

Aber welche Zeitung kann das? Schon die Art, wie und
wann Notizen über äußere Tatsacben im Leben zeitgenössischer
Künstler und Kunst-Jnstitute gebracht werden, durchbricht oft
diese Grenzen, und sobald man beginnt, Berichte über künst-
lerische Tagesereignisse, Konzerte oder Ausstellungen oder Opern zu
geben, ist sofort der Willkür und damit dem unausgesprochenen Wert-
urteil Einlaß geboten.

Jede irgendwie, nicht einmal nur: jede persönlich geleitete Zeitnng
hat neben der Absicht, einen guten Gewinn einzubringen, die Sucht
oder den Ehrgeiz — je nachdem —, im Kreise ihrer Leser bestimmte
Anschauungen zu verbreiten. Ob sie konsequent dieselben beibehält
oder je nach der Mode bald englisch, bald russisch, bald fromm, bald
frei, bald kühn, bald kühl redet, ist einerlei. Die Absicht zu wirken,
und sei's für das halbe Stündchen Frühstücksverdauung, ist vorhanden.

Auch die Musikberichte sollen wirken. Die einzige Wirkung
aber, die hier künstlerisch zulässig ist, ist die: zu erziehen, anzuregen,
zu helfen. Alle anderen haben mit einer Fördernng der Kunst und
des Kunstgenusses nichts zu tun. Was die Kunst selbst für Wirkung
haben soll, kommt dabei nicht in Betracht. Das Reden über Kunst
hat in den Tageszeitungen nur dann Zweck, wenn es bilden soll,
nicht unterhalten, nicht zerstreuen, sondern erziehen. Wie, das ist
eine andere Frage. Oft ganz unmerklich, oft mit der ausgesprochenen
Absicht zu belehren und anzuregen; manchmal in langen Zwischen-
pausen, dann wieder rasch und nachdrücklich; jedenfalls immer in Ver-
bindung mit dem wirklichen Tagesleben einer Stadt, eines Landes,
eines Reiches, je nach der Verbreitung und Bedeutung des Blattes.

Wird aber auch nur diese erste Forderung in mehr als ganz
wenigen Feuilletons erfüllt? Und sind nicht die meisten der damit
unmittelbar verbundenen Bedingungen nicht einmal dem Namen nach
bekannt?

Von der gröbsten Forderung, der der finanziellen Ehrlichkeit
und der U n b c st e ch l i ch k e i t auch anderen Dingen als Geld gegcn-
über, darf ich schweigen. Es ist in den letzten Jahren gerade genng
davon die Rede gewesen, und nicht nur in Berlin; aber die Be-
kämpfung des Gauner- und Lumpentums iu der Presse ist es nicht,
mit der wir's heute zu tun haben. Wir nehmen darum bei unsrer Be-
sprechung ganz allgemeiner Uebelstände ruhig an, daß es anständige
Leute sind, bei denen wir sie finden.

Sobald man aber den Begriff Ehrlichkeit in den der
Sachlichkeit erweitert, kommen schon sehr viele Blätter als nicht
mehr einwandfrei in Betracht, die sonst das Recht zur Entrüstung
immerhin wenigstens einigermaßen hätten. Schon die ganze Art,
wie die meisten Zeitungen in ihren Konzert- und Theaterbcrichten,
die doch meist den häufigsten oder gar einzigen Anlaß zur Beschäfti-
gung mit Kunst bieten, ihre Aufgaben anfassen, zeigt den Mangel an

lN

1- Maiheft ig02
 
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