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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 15 (1. Maiheft 1903)
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Göhler, Georg: Musikpflege und Tagespresse
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0147

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Ueber der einen Nichtigkeit, wie die von der Musikfirma so und so be-
zogenen Solisten im Vercin mit dem berühmten Dirigenten C. an einem
von derselben Firma womöglich anch noch recht geschäftsmäßig und
zugkräftig zusammengestelltcn Programme zu hören und zu sehen
geboten haben, über dieser Nichtigkeit vergißt man, daß die Wurzeln
der Musik jenseits der Plakatsäulen und Konzertbuden und in Tiefen
liegen, in die die Lichter der Straßenarbeiter in der Tagespresse
auch dann nicht dringen, wenn sie wieder einmal eine neue, recht
schöne Kritikschleuße gebaut zu haben meinen und sich am Rauschen
des trüben Wassers drin freuen.

Man wende nicht ein, die Tagespresse sei nun mal für die Er-
scheinungen des Tages bestimmt. Will sie den Ernst der künstlerischen
Betrachtungen willig den Wochen- und Monatsschriften überlassen,
dann beseitige sie auch das, was sie jetzt meist ungeniert Kunst-
Feuilleton nennt. Jch wiederhole: Selbst Leute, die sich der Ober-
flächlichkeit der künstlerischen Tagesberichte, ja der Unmöglichkeit be-
wußt sind, hier nur einigermaßen in die Tiefe zu gehen, werden
durch das immerwährende Erklingen derselben Saiten, durch den
ständigen Eifer, mit dem belanglosen musikalischen Tageserlebnissen
ganze Spalten gewidmet werden, in diese Ueberschätzung des öffent-
lichen geschäftlichen Musiktreibens hineingezogen. Und die großen
Fragen bleiben unberührt und darum unbeachtet.

Jch denke nicht an rein kunstgeschichtliche oder gar musikwissen-
schaftliche Fragen, nicht an die Stellungnahme zu eigenartigen neuen
Gestalten und Werken, sondern nur an die nächstliegenden Gebiete
der musikalischen Bildung der breiteren Massen, an Dinge, die nur
öfters erwähnt zu werden brauchen, um auch dem flüchtigeren Leser
einer Tageszeitung verstündlich zu werden und für deren Erörterung
auch die Fähigkeit eines durchschnittlichen Feuilletonredakteurs, wenn
er nur guten Willen hat, ausreichen müßte.

Ja, ich verlange nicht einmal, daß die Artikel in der
eigenen Schmiede gefertigt sind. Man kann so viel Gutes
und Passendes nehmen, ohne fremdes Eigentum zu stehlen,
wenn man nur will. Aber hier liegt ja der eigentliche Grund
der oberflächlichen Behandlung künstlerischer Dinge. Um deu
Lesern nicht die landesüblichen Kritiken zu verleiden, um überhaupt
keineu Zweifel und Zwist zu wecken, rührt man an jene Dinge gar
nicht, auch wenn sie einem ins Haus gebracht werden. Es gibt Zei-
tungen, die für jeden Radbruch in jeder Gasse ihrer Stadt nnd für
jedes Rennen am entferntesten Sportplatze Raum haben und den Ab-
druck einer kurzen Notiz, die das Publikum auf eiue musikalische No-
vität sachlich vorbereiten und an seiner Bildung mitarbeiten soll,
kurzer Hand ablehnen, da für solche Dinge prinzipiell kein Ranm be-
willigt werde. Wohlgcmerkt: die Notiz wird druckfertig kostenlos in
die Nedaktion gesandt und ist kein Reklamewisch, sondern eine sach-
liche Erörterung, die ganz wenig Raum beansprucht! Wenn einem
dcrgleichen in Briefen geklagt wird, dann lernt man wohl nach und
nach vou der reinen Kunstpflege der Tagespresse sehr übel denken.
Ein Gegenstück dazu kann ich freilich auch berichten. Jn einer Stadt
wird ein Oratorium von Händel aufgeführt. Die sozialdemokratische

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