Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1903)
DOI Artikel:
Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0174

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
(Aus dem letzten Mt. Pelleas ist also von Goland erschlagen, Meli-
sande, verwundet, hat noch ein unreifes Kindchen geboren, jetzt liegt
sie sterbend, nmgeben von dem greisen Arkel, dem vcrzweifelten Goland
und dem Arzt. Maeterlinck fährt fort: Das Zimmer hat sich all-
mählich mit den Mägden des Schlosses gefüllt, die sich stumm an
den Wänden aufstellen und warten.)

Goland (plötzlich aufspringend): Was gibt's? — Was wollen
alle diese Weiber hier?

Der Arzt: Es sind die Mägde. . .

Arkel: Wer hat sie gerufen?

Der Arzt: Jch nicht. . .

Goland: Warum kommt ihr hierher? — Es hat cuch nie-
mand gerufen. . . Was wollt ihr hier? — Aber was gibt es denn?

— Antwortet doch! . . . (Die Mägde bleiben stumm.)

Arkel: Sprecht nicht so laut. . . Sie wird einschlafen; sie
hat die Augen geschlossen . . .

Goland: Das ist doch nicht? . . .

Der Arzt: Nein, nein; seht doch, sie atmet ja. . .

Arkel: Jhre Augen sind voller Tränen. — Jhre Seele ist es,
die jetzt weint . . . Warum streckt fie so die Arme aus? — Was
will sie? —

Der Arzt: Sie verlangt wohl nach ihrem Kinde. Die Mutter
in ihr kämpft gegen. . .

Goland: Jn diesem Augenblick? — Jn diesem Augenblick?

— Jhr müßt es mir sagen; sprecht! sprecht! . . .

Der Arzt: Vielleicht.

Goland: Jetzt, gleich? . . . Oh! oh! Jch muß ihr sagen...
Melisande! Melisande! . . . Laßt uns allein! Laßt mich mit ihr
allein! ...

Arkel: Nein, nein; komm nicht näher. . . Störe sie nicht...
Sprich nicht mehr zu ihr. . . Du weißt nicht, was es heißt, wenn
die Seele. . .

Goland: Es ist nicht meine Schuld . . . Es ist nicht meine
Schuld!

Arkel: Gib acht. . . Gib acht. . . Wir müssen leiser sprechen.

— Man darf sie nicht mehr quälen. . . Die Menschenseele ist sehr
schweigsam. . . Die Menschenseele geht gern allein dahin. . . Sie
ist so schüchtern in ihrem Leid . . . Aber die Trübsal, Goland, die
Trübsal bei allem, was man sieht! . . . Oh! Oh! Oh! . . . (Jn
diesem Augenblick fallen alle Mägde im Hintergrund des Zimmers
Plötzlich auf die Kniee.)

Arkel (sich umwendend): Was ist?

Der Arzt (tritt an das Bett und befühlt den Körper): Sie
haben recht. . . (Langes Schweigen.)

Arkel: Jch habe nichts gesehen. — Seid ihr sicher? . . .
Der Arzt: Ja, ja.

Arkel: Jch habe nichts gehört. . . So schnell. . . so schnell

— - - Mit eincm Mal . . . Sie geht dahin, ohne ein Wort zu sagen...

Goland (schluchzend): Oh! Oh! Oh!

Arkel: Bleibe nicht hier, Goland. . . Sie muß jetzt Ruhe
haben . . . Komm, komm. . . Es ist furchtbar, aber es ist nicht deine

12S

t- Maiheft 190Z
 
Annotationen