Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 15 (1. Maiheft 1903)
DOI Artikel:
Rundschau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0176

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
etwa zwölfen. Sobald aber der Hannes
daS Elend des Verschwenders kennen
lernen, und sein Charakter an diesen
Zuständen entwickelt werden soll, tritt
eine Romanszene nach der andern an
Stelle dos bisherigen anspruchsloseren
Geschehens. Daüberkommt denHanncs
eine grvßmächlige Rene, just als er
den Vater ums letzte Geld anbettelt
und dabei die Not gewahr wird, in
die seine Eltern durch ihn geraten sind.
Er stöhnt über diese Nor: „Vadder,
worum haste mir dat angedahn?"
Erstens: Stöhnt ein Bauer so ge-
bildet? Dann aber mcine ich: auch ein
gutmütiger Verschwender wird in dem
Augcnblick, wo ihm das Messer an der
Kehle sitzt, schwerlich den scntimentalen
Sinn sür die Notlage andrer und
vollends seiner cigenen Leute haben,
er wird eher naiv zornig sein, daß
die nicht besser sür ihn vorgesehen —
hicr sorgt die liebe Natur durch Schutz-
gedanken um Linderung. Der Müller
aber setzi sich ganz gebrochen auf einen
Stein und: „Auf den stummcn Men-
schen nieder blickten die stummcn Berge,
und der stummo Mensch wiederum
blickte auf seine stumme Mühle. Alles
war tot." Und ähnlich tiefsinnig heißt
es cin andermal vom Vater: „Früher
hatte er dem Hannes immer seinen
Kasten aufgctan, jetzt konnte er ihm
nur noch sein Herz auftun/ Sehr be-
fremdlich in einem Bucho der Vicbig,
aber sonst wohlbekannt nimmt sich die
theatralische Phantastik aus, mit der
die Verfasserin die lctzte Nacht des
HanneS in der Mühle belebt. „Zu-
sammenbrechend fiel er übers Klavier-
chen hor und umklammerte das mit
beiden Armen", und wie er das gericht-
liche Siegel spürt, wirft er sich noch
oinmal drüber hin und weint heiße
Tränen. Das Mühlrad, seit Jahren
still, nun wird cs in Schwung gesetzt
tief in der Nacht, und wie ein Nacht-
wandler steht er da auf schmalem Steg,
„die Hände streckte er aus, als wollte
er das schwingende Mühlrad greifen,

den Kopf hielt er lauschend zur Seite...
— Jn fieberhafter Jnbrunst packte er
die Wände an, er streichelte, er küßte
sie, — sie waren sein, sein —" und
als der Kuckuck schreit in der Uhr, wird
der Hannos wütcnd, krach! schlägt er
drauf los, krachl liegt die Uhr am
Boden, und der Herr dabei."

Das ist nach meinem Empfinden
eine Art von romantischem Gemüt, wie
sie sür diesen bäuerlichen Bankrottierer
kaum bezeichnend ist, wie sie als bleich-
süchtiges Gewächs am Schreibtisch ge-
deiht. Jch verstehe sehr gut, datz hier
inneres Erleben ausgedrückt werden
soll, aber die realistische Art üer Ver-
fasserinzwingtunsdenZweifelandicser
innorenWirklichkeit gradezu aufisie ver-
baut uns das Jnncre durch Aeußerlich-
keiten. Jst es nötig, an Gottfried Kellers
Bauern in „Nomeo und Julia auf dem
Dorfe" zu erinnern? Oder ist es nicht
statthaft, einem Eifelmüller einen
Bauern aus der Schweiz gegenüber-
zustellen? Der Müller redet seinen
Dialekt mit „Bedrullich", „Ambra"
<einbarra.s)und sonstigen Besonderheiten
durchs ganze Buch, und alle andern
mit ihm. Trotzdem überwiegt das
papierne Leben das wirkliche in dieser
reichlich breiten Geschichte so sehr,
daß ich nicht begreife, wie man von
ihr „tief erschüttert" sein und sie dem
besten Werke der Verfasserin anreihen
kann. Klara Viebig hat ein starkes
Talent bewieson, sie beweist es auch
noch, aber ste scheint leider auf dem
besten Wege, es durch übereiltes Ar-
beiten zu schädigen.

L. Kalkschmidt.

G JnDiakonissenkreisen sieht
man, wie wir zu unserm Erstaunon
lesen, in unsrcr Besprcchung dcs Buchcs
„Frei zum Dienst" (Kw. XVI, 10) cine
Stcllungnahme des Kunstwarts gcgcn
das Diakonissenwesen, dic, schreibt man,
Mädchen und Frauen abhalten könnte,
sich der Diakonie zuzuwenden. Der Refe-
rent hat das viel besprochene Buch nur
als Kunstwcrk zu beurteilen gehabt, zur

'41

1. Maiheft tSos
 
Annotationen