ihn stürmisch. Einen Dirigenten, und namentlich einen Dirigenten
„volkstümlicher" Konzerte, der es wagte, ihm seinen Wagner vorzuent-
halten, würde es steinigen, d. h. boykottieren. So muß eben mit Kom-
promisscn gearbeitet werden, das ist nicht zu ändern. Aber hat denn
Wagner nicht auch Werke sür Militürmusik geschrieben? Warum spielt
man den Kaisermarsch nicht öfter, warum den Huldigungsmarsch so
selten, den amerikanischen Festmarsch fast nie? Jch habe auch garnichts
dagegen, wenn z. B. der »Einzug der Gäste" odcr der .Kriegsmarsch"
und meinetwegen auch die .Friedensboten" aus Nienzi u. A. zu Gehör
kommen. „Ja," sagt der Dirigent, „aber Walküre, Siegsried, das
wird gewünscht!" Müssen durchaus Siegfriedmotive gebracht werden,
dann immer noch lieber das Siegfriedidyll, als die ominöse „Große
Phantasie", wenngleich es streng genommen, natürlich auch nicht hierher
gehört. Und im übrigen wage man einmal dreist, den Wünschen des
Publikums zu widersprechen. Kann man nicht im Programm einmal
ein Wörtchen darüber schreiben oder — abdrucken? Das Publikum
wird sich eher zufrieden gcben, wenn es erst einmal gemerkt hat, rvoraus
man hinaus will, wenn es erst einmal das Bessere ahnt. Denn darübcr
müssen wir uns klar sein: diese Konzerte sind die wichtigsten musikalischen
Popularisierungsmittel, die wir haben. Nach künstlerischen Grundsätzen
ausgebildet, könntcn sie unschätzbare Dienste für die musikalische Erziehung
leisten, könnten geradezu eine kunstpolitische Macht werden. Die technische
Aussührung steht ja jetzt schon meist auf zusriedenstellender Höhe; es
handelt sich also auch hier wieder lediglich um die Programmsrage.
Eine Nebensache, aber doch keine ganz gleichgültige: solche Konzerte
wären auch sehr geeignet, ohne jede Ausdringlichkeit zugleich geschichtlich
belehrend zu wirken. Es könnte da z. B. die Entwicklung dcs ureigensten
Gebietes der Militärmusik, des Marsches (in Karlsruhe geschieht es).
oder auch die Entwicklung des Tanzes u. s. w. veranschaulicht werden.
Schließlich noch — auch das hat der Kunstwart schon vor Jahren
angeregt —: Warum komponieren unsere lebenden Tonmeister nicht
mehr, wie einst Haydn, Mozart und Schubert, eigens Stücke gerade
sür solche Gelegenheiten? Hindert sie der Zunfthochmut daran? Jmmer
noch, nach all den guten Erfahrungen, die die bildenden Künstler mit
ihren Vorstößen in die Gebrauchskunst gemacht haben?
Kurz, der Wege sind genug da. Wenn sie nur auch begangen
und befahren würden! Und was liegt schon jetzt an den Zielen alles
von guten Sachen aufgestapelt! Von den Klassikern und Romantikern
her gibt es eine Uumenge geeigneten Materials. Allerdings ist nicht
alles leicht zugänglich. Vielleicht nimmt sich einmal cin gebildeter Fach-
mann der Sache an und gibt, etwa als Gegenstück zur ,Bunten Bühne",
eine Sammlung guter heiterer Orchestermusik heraus?
Gtto Bsrnhard.
204
tkunstwart
„volkstümlicher" Konzerte, der es wagte, ihm seinen Wagner vorzuent-
halten, würde es steinigen, d. h. boykottieren. So muß eben mit Kom-
promisscn gearbeitet werden, das ist nicht zu ändern. Aber hat denn
Wagner nicht auch Werke sür Militürmusik geschrieben? Warum spielt
man den Kaisermarsch nicht öfter, warum den Huldigungsmarsch so
selten, den amerikanischen Festmarsch fast nie? Jch habe auch garnichts
dagegen, wenn z. B. der »Einzug der Gäste" odcr der .Kriegsmarsch"
und meinetwegen auch die .Friedensboten" aus Nienzi u. A. zu Gehör
kommen. „Ja," sagt der Dirigent, „aber Walküre, Siegsried, das
wird gewünscht!" Müssen durchaus Siegfriedmotive gebracht werden,
dann immer noch lieber das Siegfriedidyll, als die ominöse „Große
Phantasie", wenngleich es streng genommen, natürlich auch nicht hierher
gehört. Und im übrigen wage man einmal dreist, den Wünschen des
Publikums zu widersprechen. Kann man nicht im Programm einmal
ein Wörtchen darüber schreiben oder — abdrucken? Das Publikum
wird sich eher zufrieden gcben, wenn es erst einmal gemerkt hat, rvoraus
man hinaus will, wenn es erst einmal das Bessere ahnt. Denn darübcr
müssen wir uns klar sein: diese Konzerte sind die wichtigsten musikalischen
Popularisierungsmittel, die wir haben. Nach künstlerischen Grundsätzen
ausgebildet, könntcn sie unschätzbare Dienste für die musikalische Erziehung
leisten, könnten geradezu eine kunstpolitische Macht werden. Die technische
Aussührung steht ja jetzt schon meist auf zusriedenstellender Höhe; es
handelt sich also auch hier wieder lediglich um die Programmsrage.
Eine Nebensache, aber doch keine ganz gleichgültige: solche Konzerte
wären auch sehr geeignet, ohne jede Ausdringlichkeit zugleich geschichtlich
belehrend zu wirken. Es könnte da z. B. die Entwicklung dcs ureigensten
Gebietes der Militärmusik, des Marsches (in Karlsruhe geschieht es).
oder auch die Entwicklung des Tanzes u. s. w. veranschaulicht werden.
Schließlich noch — auch das hat der Kunstwart schon vor Jahren
angeregt —: Warum komponieren unsere lebenden Tonmeister nicht
mehr, wie einst Haydn, Mozart und Schubert, eigens Stücke gerade
sür solche Gelegenheiten? Hindert sie der Zunfthochmut daran? Jmmer
noch, nach all den guten Erfahrungen, die die bildenden Künstler mit
ihren Vorstößen in die Gebrauchskunst gemacht haben?
Kurz, der Wege sind genug da. Wenn sie nur auch begangen
und befahren würden! Und was liegt schon jetzt an den Zielen alles
von guten Sachen aufgestapelt! Von den Klassikern und Romantikern
her gibt es eine Uumenge geeigneten Materials. Allerdings ist nicht
alles leicht zugänglich. Vielleicht nimmt sich einmal cin gebildeter Fach-
mann der Sache an und gibt, etwa als Gegenstück zur ,Bunten Bühne",
eine Sammlung guter heiterer Orchestermusik heraus?
Gtto Bsrnhard.
204
tkunstwart