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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 21 (1. Augustheft 1903)
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Göhler, Georg: Musikalische Interpretationskünste
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0507

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Künstlerpersönlichkeiten, ausnahmsweise einmal auch nicht. Was sie
zeigen? Daß der verderbliche Einfluß, den die von der Presse groß»
gezogene Bewunderung der „genialen Jnterpreten" ausübt, die Freude
am Kunstwerk selbst immer mehr vernichtet. Das meiste Geld, daK
unsere Konzerthabituss für Musik ausgeben, wenden sie nicht auf,
um an großer Kunst das eigene Gefühlsleben zu messen und zu ver-
tiefen, sondern um dem Auffassungssport der reproduzierenden Musikev
mit zu huldigen.

Nichts Schöneres, als wenn ein großes musikalisches Kunstwerk
durch den Geist eines weiteren Künstlers hindurchgegangen ist und
nun vor uns zum Leben erwächst. Mag dann auch hie und da der
Komponist nicht absolut in seinem Wesen erfaßt, mögen aus dem
Wesen des reproduzierenden Künstlers kleine Züge mit hinein ge-
kommen sein, das ist menschlich, das ist um so mehr notwendig, je
persönlicher der Künstler fühlt. Und kein Komponist wird sich be-
klagen, sobald der nachschaffende Künstler sich nur mit allem Ernste
ehrlich bemüht hat, zu treffen, was der schaffende gewollt, und so-
bald alles empfunden ist.

Aber so sind die Gottlosen nicht! Die meisten der modernen
Jnterpretationskünstler beabsichtigen nicht, das Wesen des Komponisten
möglichst stark und rein zum Hörer sprechen zu lassen, sondern durch
möglichst viele und möglichst neue „Nuancen" die Zuhörer zu rcizen
und vom Werke selbst ab auf die Reproduktion hinzulenken. Und
das ist eine unkünstlerische Geschästsspekulation.

So lange die Dirigenten mit allbekannten, nur neu aufgeputzten
Treffern auf Geheiß ihrer Agenten herumziehen, kann man diesen
Handel mit sogenannter Kunst nur als etwas ganz Verderbliches-
brandmarken, das mit Kunstpflege nichts zu tun hat. Und tief be-
dauerlich ist es, daß große Summen von unsern Kunstfreunden aus-
gegeben werden, nur um zu hören, wie Herr A. die uns allen be-
kannte Ouvertüre „auffaßt", während man, um immer mehr große
Kunstwerke kennen zu lernen und von den Komponisten selbst sich
weiterführen zu lassen, nur zu selten Zeit und Geld aufwendöt.

Es hat keinen Zweck, das Publikum darüber aufzuklären, von
welchem geschäftsknifflichen Gesichtspunkte aus oft die Programme
dieser Vielgefeierten aufgestellt sind, und mit welchen Mitteln man
immer neue Reizungen des Publikums erfindet. Das Einzige, was
zu hoffen wäre, ist, daß die Gebildeten nach und nach doch erkennten,
was ihnen da oft als Kunst höchster Blüte gereicht wird, und daß.
die Mode: die Auffassungen jedes Dirigenten von jedem beliebten
Ouvertürchen zu kennen und alle gegeneinander abzuwägen, der ernsten
Beschäftigung mit möglichst reiner und unverfälschter Kunst aller Zeiten
— auch wenn sie nicht dankbar ist — dauernd Platz machte.

Die beiden im Anfang erzählten Geschichten zeigen, wie tief
das Uebel schon sitzt. Zeigen, daß es Zeit ist umzukehren und die
Taschenspieler ihre Künste fortan vor leeren Bänken machen zu lassen.
Und vielleicht ist gerade der Sommer zu solchen festen Entschlüssen
gut, wo nicht alles „drängt", wo man Ruhe hat, eine Frage auf
die bleibenden Werte hin zu überprüfen, die mit dabei sind.

Georg Göhler.

Z9H

Amistwart
 
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