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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 21 (1. Augustheft 1903)
DOI Artikel:
Gregori, Ferdinand: Die Entwicklung der Kulisse, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0509

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dort waren auch die notwendigen Requisiten und Versatzstücke aus--
gestapelt, die auf ihr Stichwort herausgetragen oder -gerollt wurden.
Hatte die Jllusion in dem Karren gewissermaßen den Wohnplatz des
Gottes gesehen und hatte man ihn später durch die Thymele, eine
Art von Altar mitten in der Orchestra, symbolisiert, so bekam noch
unter Aeschylos auch die vorgelagerte Kostümbude eine zweite Be-
deutung. Man malte auf ihre allgemein sichtbare Vorderseite eine
Palastfassade, um den Handlungsort des Stückes zu verdeutlichen
und die Täuschung zu verstärken. Der Gedanke konnte nun nicht
mehr ferne liegen, die tatenreichen Vorgänge zwischen den Einzel-
sprechern von den reflektierenden Reden des Chores ganz loszu-
lösen: man hob eben das Zelt auf ein Holzgerüst und schob es weiter
zurück, sodaß ein erhöhter Sprechvorplatz (Proskenion) geschaffen wurde.
Die Orchestra blieb zu ebener Erde, die Podiumbühne entstand. Aller-
dings blieb sie durch feste oder veränderliche Treppen mit dem
unteren Tanzplatze verbunden, sodaß der Chor bald hier, bald dort
sein konnte. — Wir haben heute nur noch ein immaterielles Zu-
sammengehen von Skene und Orchestra beibehalten: in der Oper.
Während unsrer Proben wird aber noch immer eine Brücke zwischen
beiden geschlagen, die der Regisseur benutzt, um sich schnell mit den
Schauspielern verständigen zu können.

Die zum Hause umgeschminkte Zeltwand verlangte eine pein-
liche Einhaltung der Einheit des Ortes, wenn die Jllusionswilligkeit
des Publikums nicht auf gar zu harte Proben gestellt werden sollte.
Ein Dekorations-, d. h. Hintergrundswechsel, war vollständig unmöglich.
Alles mußte sich im Freien, vor einem Gebäude abspielen. Nun nahm
man ja die eine Malerei nach dem Willen der Dichter hin als die Villa
des Dikaiopolis und auch als das Stadthaus des Euripides, als den
Tempel des Herakles und auch als den unterirdischen Palast des
Pluton, aber Felsen, Wald und Meer oder Zimmerwände hätte man
nicht darin gesehen. Um diese Schwierigkeit ein wenig zu mindern,
ersand oder verwendete Aeschylos einen Wagen (Ekkyklema). So ge-
lang es ihm, der sich nicht ängstlich an alle Einheiten binden mochte,
die Zuschauer auch einmal ins Jnnere eines Hauses blicken zu lassen.
Hinter dem Prospekt wurde auf diesem rollbaren Podium das lebende
Zimmerbild — ohne Wand — gestellt und aufs Stichwort aus der
geöffneten Zeltwand hinausgeschoben. Und alles Volk schauderte dann,
wenn die Leiche Agamemnons neben dem Badezuber erschien, mit
Ler ermordeten Kassandra und der blutbespritzten Klytämnestra zu
schrecklicher Dreiheit vereint; oder in den „Grabesspenderinnen" lag
üa das schändliche Ehepaar zu Tode getroffen und Orest stand da-
vor, der seine Tat bekannte und sich im Anschauen seiner Opfer den
Erinnyen verfallen fühlte.

Das Zelt wurde mit der Zeit stabiler, ein Holzbau; schließ-
lich bekam es feste Mauern wie ein wirklicher Königspalast, der aus
zwei Stockwerken bestand. Vom platten Dache aus spähte der Wächter
aus, rief man die Himmlischen an; für die persönlich erscheinenden
Götter errichtete man ein noch höheres Gerüst, von dem aus sie die
Wirren lösten, wenn sie nicht durch Flugmaschinen auf den Sprech-
Platz herabgetragen wurden. Meist führten drei Türen aus dem

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Kunstwart
 
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