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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 21 (1. Augustheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0533

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eilend über die schwarzen Himmel — ihr kommt zn spät! Die Leuchte
dieser Erde geht dahin, der Heiligste ist tot! (Weint.) Mein Vater,
wenn du wüßtest, welch einen König du geschmäht hast! Oh, und
diesen König der Könige — wie habt ihr ihn mißhandelt, wie habt
ihr ihn entstellt! Schau her! (Sie hat mit raschem Ruck das Tuch
entfaltet: blutrot schimmert das bekannte Christusbild „Schweißtuch
der hl. Veronika" herüber.)

Ahasver (schreit auf und streckt abwehrend beide Arme aus):
Hinweg dies Antlitz! (Donner und Blitz.) Reiter des Himmels, werft
Flammen über meine Augen, denn ich will nicht sehen diesen —
diese andre Flammen — den dort! Hinweg das Tuch!

Nikodemus (kommt; rufend durch das Windgeräusch): Habt
ihr gehört, was mau von Judas Jscharioth sagt?

Ahasver (ruft durch Wind und Gewitter): Jch will nicht
hören, was man von Judas Jscharioth sagt! Lauf heim in dein
schuldlos Haus, Nikodemus! Denn die Erde geht unter — und mein
Haus wird das erste sein, das der Blitzstrahl trifft!

Nikodemus (ruft): Judas Jscharioth hat sich erhängt!

Ahasver: Feigling ist Judas Jscharioth! Ja, Judas Jscha-
rioth Feigling, Ja und Amen! So hat auch mich Judas Jscharioth
verraten und mich im Stich gelassen, der Absalom, der feige Hund,
denn er hat auszuhalten auf dieser sturmvollen Erde, bis wir uns
erzwungen haben Macht, Macht, dreimal Macht — wie sie uns
verheißen hat Gott Zebaoth! Mich aber brecht ihr nicht! Denn
seht mich an: ich bin uicht mehr Ahasver, seht mich an, ich bin
ein Dämon! Seht mich an, wie ich mich aufrecke gleich einem Turm
und dahinwandle über Land und Gewässer! Hinauf mit euch nach
eurem Golgatha und noch höher hinauf, ihr Kinder des Lichts! Webt
euch Gewänder aus Sonnenflammen, bestürmt diesen Stern des
Grames, sehet zu, ob ihr uns heimerobert dem Lichte! Jch aber —
ich suche mir eine Höhle des Libanon, ich will wühleu und suchen in
Krästen der Erde, in Staub und Scholle, Not und Nacht, bei Wurm
und Molch — bis ich von dort herausbreche und in Krallen halte
diese Erdscheibe, wie es uns verheißen hat der Gott Jsraels — ha,
bis mein ist die Summe der ganzen Welt — Mein! Hört mich,
Dämonen der Luft! Und ob es gleich wäre tausendmal tausend Jahre
— leben will ich, bis ich aus eigener Kraft mir errungen
habe Macht, Macht, Macht! (Hat die Schwurfinger erhoben.
Donner und Blitz.) Amen, Jehovah Zebaoth! Amen! (Wild ab.)

Nikodemus (tritt zwischen die verstörten Kinder, faßt sie an
den Händen. Es wird nach und nach ruhiger): Der furchtbare Tag
hat ihn übermannt. . . Gebt mir eure Hände, Kinder. . . Dieser
Dämon ist nicht mehr euer Vater. . . Gott wird seinen Wahn zu
seincm Ziele leiten, wir sind machtlos. — Jch aber gehe nun hinauf
nach Golgatha. Jch will in jenes Fremdlings unergründlich Auge
schauen, bis seine Seele hinübergeht in die Länder, aus denen er ge-
konimen ist. Jch will bekennen vor allem Volke, daß in ihm sich
offenbarte das Heil der Welt. Dann werde ich diese Stadt der Dä-
monen verlassen und hinausgehen in die Hütten der Menschen. Und
wenn ich gelernt habe, nur ein Teilchen so gut und groß zu sein

4<ro

Runstwart
 
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