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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 21 (1. Augustheft 1903)
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0545

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Es ist jetzt schon ein paar Jahre her, daß im Auftrage des Malers
Bernt Grönvold bei Bruckmann in München ein Buch erschien: „Friedrich
Wasmann, ein deutsches Künstlerleben, von ihm selbst erzählt", das mit zahl-
reichen ausgezeichneten Jllustrationen versehen war. Das Buch fand gar keine
Beachtung. Etwas so Stilles, so Vornehmes, so „Altmodisches" interessiert die
Leute von heute nicht mehr, Ein paar Sammler und ein paar Kupferstich-
kabinette mögen es angeschafft haben: datz man eine Lehre daraus zog, habe
ich niemals beobachtet. Und doch ist das Buch ganz außerordentlich lehrreich,
lehrreich in einer ganzen Reihe von Beziehungen. Jch will ganz kurz die Ge-
schichte seines Entstehens erzählen. Bernt Grönvold ist ein norwegischer Maler,
der seit langen Jahren seinen Wohnfitz in Deutschland hat und aufs Engste mit
der deutschen Kunst verwachsen ist. Lange Zeit wohnte er oben im Sarntal
über Bozen und durchsuchte mancherlei Teile Tirols nach Resten seiner schönen
alten Kultur. Da fielen ihm eines Tages in einem Antiquariat in Meran ein
paar Mappen mit Zeichnungen vom Anfang des >9. Jahrhunderts in die Hände,
die ihn durch ihre Schönheit ganz autzerordentlich fesselten. Es waren
zeichnerische Meisterwerke, wie man sie nicht ost sieht und wie sie heute in ihrer
reinen Klarheit und ungesuchten Jnnerlichkeit etwas schwer und selten zu Fin-
dsndes geworden sind. Und sonderbarl Auf den Zeichnungen stand ein bisher
vollkommen unbekannter Name: Friedrich Wasmann. Auf näheres Erkundigen
erfuhr Grönvold, datz Wasmann ein Hamburger Maler gewcsen sei, der in
Meran als Zeichenlehrer seinen Wohnsitz gehabt habe, aber nun schon seit einer
Reihe von Jahren gestorben sei. Da Grönvold erkannte, datz es sich hier um
eine ganz autzerordentliche Erscheinung handele, die nur durch ein unglück-
liches Schicksal dazu gekommen war, nicht unter den Namen der grotzen be-
kannten Künstler des Jahrhunderts zu stehen, beschlotz er, dem Unbekannten ein
Denkmal zu setzen, welches ihm den Platz zuweisen solle, den er verdient. Mit
grotzen eigenen Opfern gab er ein Werk heraus, welches aus einer inzwischen
von ihm aufgefundenen Selbstbiographie des Künstlers und zahlreichen aus-
gezeichneten Reproduktionen nach seinen Werken besteht. Wir möchten heute
aus diesem einige Reproduktionen unsern Lesern vorführen. Jch fürchte, gar
viele werden flüchtig und ohne sonderliches Jnteresse an diesen „altmodischen"
Zeichnungen vorbei sehen. Jch möchte sie nun festhalten und sie auf einiges
in diesen Zeichnungen aufmerksam machen. Leider können wir als Belege nur
zwei daoon anführcn, doch geben auch diese schon eine lcidliche Vorstellung von
den Werken.

Soll ich rund heraus sagen, wie ich's meine, so ist es ungesähr das:
die Kunst von Anfang deS td- Jahrhunderts bedeutet nicht, wie uns gar Manche
heute weismachen wollen und wie es schon die Tausende von unselbständigen
Köpsen heute nachschwatzen, einen besonderen Tiefstand, sondern im Gegenteil sie
umfatzt mit das Neinste und Höchstentwickelte, was deutsche Kunst überhaupt
hervorgebracht hat. Sie gestaltet menschliche Werte, welche uns heute grotzen-
teils verloren gegangen sind. Sie wieder zurückzugewinnen und dort anzu-
knüpfen, scheint mir nicht allein auf dem Gebiete der angewandten Kunst, kurz
dem Gebiete, das ich in den „Kulturarbeiten" bearbeite, unsere Aufgabe, son-
dern genau ebenso auch in der bildenden Kunst. Wir sind jetzt glücklich schon
soweit gekommen, datz wir den Ausdruck „Nervosität" förmlich als eine not-
wendige künstlerische Eigenschaft preisen — wenn man mir's nicht glauben will,
so will ich bekannte Tagesschriftsteller anführen, die das Wort „nervös" gerade-
zu als sxitdston ornaus im Munde führen. Vielleicht werden auch Flüchtig-
keit, Oberflächlichkeit und Hastigkeit und ull die schönen Eigenschaften, die zum
Gesamtbilde des modernen Menschen gehören, nächstens öffentlich als Vorzüge
gcpriesen werden. Es ist ein wenig zu kurz gedacht: die Kunst soll uns Rechen-
schaft geben von dem Wesen der Künstler; und darum ist es ein Vorzug, wenn
alle Eigenschaften des Künstlers im Kunstwerk zum Ausdruck kommen. Kunst
kann nur dann Anspruch auf Wert machen, wenn sie auch wirklich das
Wertvolle im Wesen des Künstlers uns sichtbar gestaltet; gestaltet, nicht
nur darüber berichtet. Und das scheint mir in ihrer Art durchaus auch Was-
manns vergessenc feine Kunst zu tun.

!!-erantwortltch: der Herausgeber F-rdtnand Avenartus tn Dresden-Blasewttz. Mttredakteure -
fürMusik-Oi-. Richard Batka tn Prag-Weinbcrge, Mr bildendeKunst: Professor Paul Schultze»
Naumburg tn Saaleck bet Kösen tn Thürtngen. — Sendungen sür den Text an den Herausgeber,
über Mufik an vr. Batka. — Druck und Verlag von Georg D. W. Callwey in München.
Bestellungen, Anzetgen und Geldfendungen an den Berlag Georg D. W. Eallwey in München.
 
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