Glücklicherweise ist abcr die Parallelitüt der Baufluchtcn noch nir-
gcnd zum Gesetz erhoben, und hier verbleibt noch ein schr erfreu-
licher Spielraum, um der tötenden Einförmigkeit entgegen zu wirken.
Durch Ausweitungen der Straßen an geeigneten Stellen wird eine,
wenn auch nnr ganz leise, Schrägstellung der Häuserfronten bewirkt,
wodurch diese sofort viel günstiger in das Gesichtsfeld hineingerückt
werden. Es bcdarf dann gar nicht mehr des starken Reliefs, um
sie augenfällig und intcressant zu machen, und allein die künstlerische
Behandlung ihrer Fläche in Farbe und feinfühliger Abwägung der
Durchbrechungen im Verhältnis zu den verbleibenden Mauermassen
vermag zu einer voll befriedigenden Wirkung zu führen. Aber auch
die Reliefbildung ist nicht ausgeschlossen, nur ist sie mehr durch zurück-
springende, als durch in den Straßenraum vorspringende Fassaden-
teile zu erzeugen, und ferncrhin wird bcim Hinaufrücken der Höhen-
grenzen an den erweiterten Straßenstellen Spielraum für eine lebhafterc
Silhouettierung der Straßenwandungen gewonnen. Jn diesem Sinne
die Straßenarchitektur als raumbildende Kunst anfzufassen und aus-
zuüben, wobei das Prinzip des Konkaven den Ton anzugeben hat,
darf als mindestens ebenso dankbar und verdienstlich angesehen werden,
wie die Bevorzugung des Konvexen mit Plastischen Körperformen. Da-
bci wird zugcstanden werden müssen, daß solche Zurückhaltung in
den Baumassen, die den Luftraum vor dem Hause vergrößert, mehr
einer wahren Vornehmheit cntspricht, als die Aufdringlichkeit protzig
vorspringender Bauteile, die den Luftraum verringern und die Aus-
sicht versperren.
Merkwürdig ist es, aber bezeichnend für den Mangel an höheren
und wcitercn Gesichtspunkten, an welchem dic bürgerliche Baukunst
der Neuzeit krankt, daß die Erker- und Turmepidemie womöglich ge-
rade da am ärgsten zu wüten Pflegt, wo sie im Straßenbild den
größten Schaden anrichtet, und wo für die Bewohner wenig oder
gar nichts mit diesen Extremitäten zu erreichen ist. Man denke nur
an die zahlreichen turmbekrönten Eckerker, die den Einblick in die
Straßen versperren, und vergleiche mit ihnen das besonders in Mün-
chcn mchrfach mit schönstem Erfolge vcrwertete Motiv der ranm-
erweiternden einspringenden Ecke.
Es sei diese Gelegenheit benutzt, nm auf einen vorzüglichcn Auf-
satz des Professors Hocheder in München aufmerksam zu machcn, der
von konvexen und konkaven Formen der Baukunst handelt und sich
in der „Süddeutschen Bauzeitung" (1902, 4—6) abgedruckt findet.
Von der Müuchener Architektenschaft ist neuerdings angcregt
worden, in den Bauordnungen Paragraphcn aufzunehmen, in welchen
die Zulassung des Zurücktretcns hinter die stadtbauplanmäßige Bau-
fluchtlinie, auch in geschlosscnen Häuserzeilen, ausgesprochen wird.
Unter gewissen Bedingungen, durch wclche die Vermeidung von
Schmutzwinkeln sicher zu stellen ist, verdient diese Anregung gewiß
volle Beachtung.
Es liegt auf der Hand, daß freistehendc Gebäude, um dic man
herumgehen muß, um sie zu betrachten und in ihrer Körperlichkeit
zu genießen, ganz andcrn Bildungsgesctzen zu unterwerfcn sind, als
die Gebäude, welche die Wandungen cines Raumes auSmachen, inner-
halb dessen der Beschauer von ein und derselben Stelle aus Rund-
4ZS
2. Augustheft ^yoz
gcnd zum Gesetz erhoben, und hier verbleibt noch ein schr erfreu-
licher Spielraum, um der tötenden Einförmigkeit entgegen zu wirken.
Durch Ausweitungen der Straßen an geeigneten Stellen wird eine,
wenn auch nnr ganz leise, Schrägstellung der Häuserfronten bewirkt,
wodurch diese sofort viel günstiger in das Gesichtsfeld hineingerückt
werden. Es bcdarf dann gar nicht mehr des starken Reliefs, um
sie augenfällig und intcressant zu machen, und allein die künstlerische
Behandlung ihrer Fläche in Farbe und feinfühliger Abwägung der
Durchbrechungen im Verhältnis zu den verbleibenden Mauermassen
vermag zu einer voll befriedigenden Wirkung zu führen. Aber auch
die Reliefbildung ist nicht ausgeschlossen, nur ist sie mehr durch zurück-
springende, als durch in den Straßenraum vorspringende Fassaden-
teile zu erzeugen, und ferncrhin wird bcim Hinaufrücken der Höhen-
grenzen an den erweiterten Straßenstellen Spielraum für eine lebhafterc
Silhouettierung der Straßenwandungen gewonnen. Jn diesem Sinne
die Straßenarchitektur als raumbildende Kunst anfzufassen und aus-
zuüben, wobei das Prinzip des Konkaven den Ton anzugeben hat,
darf als mindestens ebenso dankbar und verdienstlich angesehen werden,
wie die Bevorzugung des Konvexen mit Plastischen Körperformen. Da-
bci wird zugcstanden werden müssen, daß solche Zurückhaltung in
den Baumassen, die den Luftraum vor dem Hause vergrößert, mehr
einer wahren Vornehmheit cntspricht, als die Aufdringlichkeit protzig
vorspringender Bauteile, die den Luftraum verringern und die Aus-
sicht versperren.
Merkwürdig ist es, aber bezeichnend für den Mangel an höheren
und wcitercn Gesichtspunkten, an welchem dic bürgerliche Baukunst
der Neuzeit krankt, daß die Erker- und Turmepidemie womöglich ge-
rade da am ärgsten zu wüten Pflegt, wo sie im Straßenbild den
größten Schaden anrichtet, und wo für die Bewohner wenig oder
gar nichts mit diesen Extremitäten zu erreichen ist. Man denke nur
an die zahlreichen turmbekrönten Eckerker, die den Einblick in die
Straßen versperren, und vergleiche mit ihnen das besonders in Mün-
chcn mchrfach mit schönstem Erfolge vcrwertete Motiv der ranm-
erweiternden einspringenden Ecke.
Es sei diese Gelegenheit benutzt, nm auf einen vorzüglichcn Auf-
satz des Professors Hocheder in München aufmerksam zu machcn, der
von konvexen und konkaven Formen der Baukunst handelt und sich
in der „Süddeutschen Bauzeitung" (1902, 4—6) abgedruckt findet.
Von der Müuchener Architektenschaft ist neuerdings angcregt
worden, in den Bauordnungen Paragraphcn aufzunehmen, in welchen
die Zulassung des Zurücktretcns hinter die stadtbauplanmäßige Bau-
fluchtlinie, auch in geschlosscnen Häuserzeilen, ausgesprochen wird.
Unter gewissen Bedingungen, durch wclche die Vermeidung von
Schmutzwinkeln sicher zu stellen ist, verdient diese Anregung gewiß
volle Beachtung.
Es liegt auf der Hand, daß freistehendc Gebäude, um dic man
herumgehen muß, um sie zu betrachten und in ihrer Körperlichkeit
zu genießen, ganz andcrn Bildungsgesctzen zu unterwerfcn sind, als
die Gebäude, welche die Wandungen cines Raumes auSmachen, inner-
halb dessen der Beschauer von ein und derselben Stelle aus Rund-
4ZS
2. Augustheft ^yoz