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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 22 (2. Augustheft 1903)
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Unsre Noten und Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0597

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unserm Heft vorgesetzte Reproduktion zeigt uns dabei eine, die im großen
Publikum so gut wie unbekannt ist, die in Augsburg aufbewahrte »Madonna
mit der Nelke^. Was dieses kleine Werk so halb im Verborgnen gehalten hat,
war ein kunstgeschichtliches Vorurteil: es hat sich einmal jemand darüber ge-
wundert, daß Dürer hier „idealisiert" habe, daß er gegen seine sonstige Ge-
wohnheit den Heiligenschein angebracht habe, er sah da „Wünsche des Bestellers*
durchblicken und was weiß ich noch, — dieser Eine beeinslußte dann die Andern,
und so war's mit der Unbefangenheit bei diesen vorbei. Hätte man sonst die
„unendliche Liebenswürdigkeit dieser jungfräulichen Mutter", die selbst Knackfuß
empfand, nicht so empfinden müssen, daß man hier nach einer Richtung hin
geradezu ein H auptbild Dürers sah? Derselbe Knackfuß aber bringt zwar t27
Abbildungen Dürerscher Werke, dieses aber ist nicht einmal in der bescheidensten
Verkleinerung darunter. — Die beiden andern Dürerschen Marien sind be-
kanntere Bilder. Man beachte auf dem ersten, wie der eine Engel-Bub im
Vordergrunde ein wenig altklug aus das hört, was ihm der andre verschmitzt
mitteilt, und man ist gleich wieder dicht bei Dürer. Hundert Mal derselbe
Gegenstand, weil die Phantasie ihn hundert Mal verschieden, tausend Mal ver-
schieden, weil sie ihn als unerschöpflich zeigt, was mit andern Worten genau
das gleiche besagt, wie: weil er ihr lebt. Das zweite Blatt, die Maria mit
der Meerkatze, hat sogar den Jtalienern gefallen, wenigstens weit genug, daß
sie's fröhlich zum „Entlehnen" benutzt haben. Welche ganz andere Stimmung
wieder hierl Jnteressant ist es dabei auch, den Unterschied üer beiden Techniken
zu beobachten.

Neben Dürer halten sich andre Kunstwerke schlecht, aber das aus Essen
„zur ästhetischen Kultur" — ja, das hält sich doch noch daneben — vor, hinter,
über oder ohne Dürer, es erfreut überall. Augenscheinltch stellt's einen Titanen-
kampf dar: der Karyatiden-Gigant hat mit dem Ornament-Ungetüm ihm gegen-
über nach Art der göttlichen Widder Haupt gegen Haupt gekämpft, der letzte
Stoß ist ihm zu stark gewesen, er ist zurückgezuckt und die Miene des Angesichts
wie die Haltung der Hand am Leibe erweist es nun deutlich: ihm ist nicht
wohl.... Wollen wir über diese Leistung der modernen Bauerei ernsthaft
reden, so werden wir sagen müssen: ein so schlagendes Beispiel findet sich seltcn
für eine Erscheinung, die unser Bauen sehr allgemein auszeichnet: für das
Darauflosarbeiten ohne jede Rücksicht auf die Umgebung. Die beiden Hüuser,
die über diesem Durchgang zusammenstoßen, sind das eine so schlecht wie das
andere im Klimbimstil erbaut, daß aber ein Torweg sich rechts und links
einigermaßen entsprechen sollte, diese Weisheit ist sicher auch ihren Schöpfern
nicht verschlossen, und innerhalb ihrer Häuser sind sie ihr unzweifelhaft gefolgt.
Hier aber gehärte die andre Seite ja zur andern Hausnummer, und was ging
Nr. 25 an, was bei Nr. 26 geschah? Hier sieht das blödeste Auge, was Lächer-
liches dadurch herauskam — wollte der Himmel, wir bekämen bald wieder
die Augen, um auch die weniger auffälligen Lächerlichkeiten und Häßlichkeiten zu
sehn, die durch die minder krassen Formen desselben Grundsatzes in allen
Städten alle Tage entstehenl

Verantwortllch l der Herausgeber Ferdinand Avenarius in Dresden-Blasewitz. Mitredakteure:
sür Musik: vr. Richard Batka in Prag-Weinberge, für bildendeKunst: Profefsor Paul Schultze-
Naumburg in Saalcik bet Kösen in Thüringen. — Sendungen für den Text an den Herausgeber,
über Musik an Or. Batka. — Druck und Verlag von Georg D. W. Tallwey in München.
Bestellungen, Anzeigen und Geldsendungen an den Verlag Georg D. W. Callwey in München
 
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