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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

DOI Heft:
Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
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Göhler, Georg: Felix Draeseke, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0625

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Satz: eine prächtige Menuett mit einem kapriziösen Jntermezzo. Den Schluß
bildet einer der feurigsten Quartettsätze, die ich kenne; die Durchführung des
klassisch einfachen zweiten tzauptgedankens, der übrigens aus dem 6rsäo von
Liszts Graner Messe stammt, ist ebenso ursprünglich schön wie die Entwicklung
des Fugato aus Motioen der ersten Themengruppe. Das Ganze schäumt über
von Lebenskraft und bleibt doch Kammermusik, versucht kein Orchesterwüten
auf vier armen Streichinstrumenten darzustellen.

Die Themen Draesekes sind oft verwandt untereinander. So die Haupt-
themen des ersten Satzes in der Klarinettensonate, der Cellosonate und dem
Quintett. Auch das Finale des zweiten Quartetts ist verwandt mit dem der
Cellosonate; sein siebentaktiges Gefüge gibt dem ganzen Satze etwas kraftvoll
Wildes. Höher als das zweite Quartett stelle ich aber in jedem Fall das in
6iswoI1 (ox. 66), das schon in der fünfsätzigen Anlage, in dem Beginne mit
einem ^näLntmo elsAiaeo als erstem Satz Abweichungen von der hergebrachten
Form zeigt. Jeder der sehr knapp gehaltenen Sätze hat einen scharf ausge-
prägten Charakter; der Komponist scheint zu wünschen, daß das Ganze mög-
lichst ohne Pause gespielt werde: die Art, wie er Enden und Anfänge ver-
knüpft, deutet darauf hin. Ob aber mit oder ohne Pausen —, vor allen Dingen
möge das klangschöne Werk überhaupt gespielt werden! Sein Quartettsatz wie
sein Gefühlsgehalt ist wieder durchaus bedeutend. Dabei geht das Werk tech-
nisch keineswegs Lber die Kraft eines tüchtigen, gut cingespielten Dilettanten-
guartetts.

Dilettanten wissen überhaupt leider viel zu selten, wo Barthel Most
holen kann — um da zu helfen, schreiben ja wir vom Kunstwart über Themen
wie das vorliegende. Wie viele sehnen sich nach guten, neuen Violinsonaten
und wissen nicht, daß Draeseke seine als op. 38 bei Kistner erschienene Klari-
nettensonate ausdrücklich auch für Klavier und Violine bestimmt hat. Freilich,
gewisse Wendungen, besonders im Scherzo sind so ausgesprochen klarinetten-
mäßig, daß die charakteristische Wirkung durch die Geigen unmöglich erzielt
werden kann. Aber rvarum schwören sich denn unsere Solo-Klarinettisten so
einseitig auf Brahms ein und führen dem Publikum nicht einmal auch diese
köstliche Blasmusik Felix Draesekes vor? Die feinen Verschmelzungen der Themen
des ersten Satzes, das prachtvoll breite Adagio mit seinem Wohllaut, das kecke
Scherzo mit dem Dudelsack-Jntermezzo und das Finale, das wie eine wilde
Range hereingestürmt kommt und dann die fidelsten Melodieen von der Welt
mit einer Unbekümmertheit pfeift, die beneidenswert ist: das alles verdiente
doch, nicht bloß sauber auf Platten gestochen bei C. G. Röder oder auf an-
ständiges Papier gedruckt bei der Firma Fr. Kistner sein Lager-Dasein zu fristen,
sondern zu klingen und zu leben!

Und wo kein Klarinettist zu finden ist, gibt's vielleicht einen Cellospieler,
der nicht bloß von Goltermann und Genossen leben mag. Der gehe zu Nobert
Forberg, bei dem Draesekes Cello-Sonate (op. si) erschienen ist. Noch Besseres
weiß ich im selben Laden für intelligente Geiger, eine »Szene für Violine und
Pianoforte" (vp. 69), eines der gehaltvollsten Geigenstücke aller Zeiten, eigent-
lich eine verkappte Phantasie-Sonate. Themen sind da drin, Gegensätze und
Steigerungen, Melodieen, die niemand vergißt und die auf der Geige klingen!
Mir ist's einfach rätselhaft, daß sich auf ein so bedeutendes und dankbares
Werk die Berufsgeiger nicht mit einer Rivalität werfen, die keinem Kollegen
den Vorrang in der vollendeten Erschöpfung dieser innerlich erlebten Musik
gönnen will.

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Knnstwart
 
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