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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 23 (1. Septemberheft 1903)
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Rundschau
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Heft 24 (2. Septemberheft 1903)
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Avenarius, Ferdinand: Ludwig Richter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0682

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gelernt? Freilich, ohne zu erfahren, wo eigentlich im Rossesleibe sie
säßenl All die von altersher festgenagelten Regeln, gewiß, sie waren
ihm wieder in den Kopf genagelt worden. Ja, sogar eine weite Kunst-
reise hatte Richter schon gemacht. Freilich, der russische Fürst, mit dem
er nach Südfrankreich gefahren war, hatte ihn ausschließlich als Schnell-
zeichenmaschine für das Vedutenalbum benutzt, das er der Kaiserin der
Reußen zu Füßen legen wollte. Nun saß er eben da und verdiente Essen,
Kleidung und Stübchenmiete. Aber bei der Rückkehr von jener Fürsten-
reise hatt' er dieses und jenes vorgefunden, was ihn heimlich darin be-
stärkte, daß ihn doch nicht bloß Hochmut da und dort zum Zweifeln,
da und dort zum Sehnen stimmte. Blätter von Dürer und solche von
Chodowiecki kamen ihm schon lange zur Hand und gefielen ihm, und
nun auch solche von Zeitgenossen, von Klein und Erhard z. B., von
denen man noch gar kein Wesen machte. Mit jungen Kunstgesellen
traf er sich zwar fast nie, aber die Bilder sah er doch, die C. D. Friedrich,
der ,Tragöde der Landschaft", und sein Freund, der Norweger Dahl,
in Dresden ausstellten, und wenn er vom Zorne der Alten darüber
hörte, er konnte sich nicht helfen, gleich anderen Jungen gefiel ihm auch
wieder dies und jenes daran. Man liebte in seinem Kreise die Alt-
deutschen nicht, die anders angezogen gingen, als gute Bürger sonst,
aber was sie raunten und redeten, träumten und taten, er hörte doch
davon und ihm ging es nahe. Nun wandelte auch zu dieser Zeit
noch eine andre geheime Sehnsucht umher, eine Künstlersehnsucht, die
flüsterte von einem Lande unversieglicher Schönheit, darin das Leben,
ach, ein Wachsen, das Sehen ein Trinken von Offenbarung, das Zeichnen
und Malen ein schaffendes Gestalten sei, von dem Lande der Sonne
Jtalien. Und diese Sehnsucht hatte unserem Ludwig nicht nur zugeraunt,
sie hatte ihn sengend geküßt. Jhr zu folgen zwar, nein das konnte
und konnte ja nicht sein, es gab keine Feen mehr, die Träume ver-
wirklichtenl Es konnte doch sein. Jetzt rief ihn der Vater, und sieh, da
stand der alte Buchhändler Arnold und erzählte herzlich vergnügt über
das gute Geschäft, das er mit des jungen Ludwigs Bildern machte.
Den liebt' er ja lange, erinnert' er ihn doch so freundlich an seinen
verstorbenen Sohn. Jetzt ward es reif: drei Jahre Jtalien schenkt' er
ihm. Und machte den jungen Ludwig Richter damit, so nannt' es noch
Ludwig Richter, der Greis: unausdenklich glücklich.

Wir treffen den Werdenden auf seiner Lebensreise wieder, nach-
dem ein Jahrzehnt vergangen ist. Hinter ihm liegt eine Zeit, so reich
an edelstem Genuß, wie sie sein Herz nur umfassen konnte, mit aller
Liebeskraft der Jugend in Italien durchlebt. Die größten Kunstwerke
zweier Jahrtausende haben zu ihm gesprochen, einer großen Natur hat er
endlich, endlich unmittelbar sich nahen, um ihre Geheimnisse hat er werben
dürfen vor ihr selber mit Pinsel und Stift, und Freunde waren dabei,
ältere, die ihn beschenkten, Altersgenossen, mit denen er austauschte,
Freunde, erlesen aus allen deutschen Gauen, die Genossen seines Strebens
und Brüder seines Wesens waren. Und was kam dann? Nun —
ja, nun sitzt er in Meißen als Zeichenlehrer, eng ist alles um ihn her,
und all diese Enge fühlt er nur als Druck. Wie durchs Flugloch aus
dem Käfig nach der Sonne schwärmen seine Gedanken nach dem Süden,
und müssen doch immer wieder zurück. Endlich aber, ja, endlich schaut

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Runstwart
 
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