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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 16,2.1903

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Heft 24 (2. Septemberheft 1903)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7954#0701

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wegen der weiten Entfernung wenig und später gar nicht mehr be-
suchen, und ich lag viel am Fenster, wo es immer Etwas zu sehen
gab. Wir bewohnten zu jener Zeit eine Etage im goldnen Löwen,
oben am Elbberge gelegen, und konnten somit die ganze Amalien-
straße bis zum Pirnaischen Thore und rechts den Elbberg hinab bis
nach Neustadt sehen. Die Promenaden existirten damals noch nicht,
sondern statt ihrer ein Stadtgraben, und darüber die Wälle der hohen
Stadtmauer mit Schanzen versehen und mit hohen Bäumen be-
wachsen. Dies war unser vis-ä-vis.

Meine Mutter war um diese Zeit mit dem jüngeren Bruder
Willibald und einem Schwestercheu Hildegard zu ihrem Vater in der
am anderen Ende der Stadt gelegenen Friedrichstadt gezogen. Der
arme Müller-Großvater, dessen Frau in Folge einer Overation ge-
storben war, wußte sich in dieser schlimmen Zeit so ganz allein gar
nicht zu helfen; deshalb versah die Mutter das Haus, und der gute
Vater, bei dem ich blieb, hoffte wohl so leichter durchzukommen; denn
an Arbeiten war selten zu denken, auch bestellte Niemand Etwas und
es ist mir heute noch räthselhaft, wie er ohne Verdienst, ohne Hülfe
von irgend einer Seite in dieser schlimmen Zeit bestehen konnte. Die
Einguartierung hörte nun gar nicht mehr auf. Wir beide hatten nur
eine Stube zu unserem Gebrauch, die andere, sowie Kammer und Vor-
haus, lagen fast stets voll Soldaten; der Boden war mit Stroh be-
deckt, woraus sie schliefen; Gewehre, Montirungsstücke, Kommißbrod,
Patronen und wer weiß was Alles lag bunt durcheinander. Eine
Zeit lang hatten wir dreizehn Mann auf einmal in unserem be-
schränkteu Raum; denn der gutherzige Vater hatte auch die Mann-
schaft noch zu sich genommen, welche zwei über uns wohnenden Wittwen
zukam. Diese hatten ihre Thüren verschlossen und beschworen meinen
Vater, die Männer bei sich aufzunehmen und versprachen, ihm in der
Verpflegung der Soldaten zu helfen und beizustehen, so gut sie es
vermöchten; und so geschah es.

Bei all diesen Drangsalen der Zeit, dem gänzlich zerrütteten
und zerrissenen Familienleben, der bitteren Geld- und Lebensmittel-
noth, sah es oft doch lustig genug in der Küche aus. Vater stand
am Herd und rührte in einem riesengroßen Topfe Reis- oder Kar-
toffelbrei; die alten, freundlichen Weiblein spalteten Holz, stießen
Pfeffer im Mörser, rieben harte Semmeln auf dem Reibeisen, wuschen
die Teller, holten Wasser, lachten und schäkerten, während die Sol-
daten ihre Gewehre auseinander nahmen, putzten, ölten, ihr Riemen-
zeug in Glanz brachten und dabei durch Pantomimen und Kauder-
welschen Gespräche zu führen suchten; denn von uns verstand Nie-
mand französisch und die Soldaten nicht deutsch. Das war üußerst
komisch zu sehen und zu hören.

Einstmals wurden von der Schiffbrücke unten an der Elbe ge-
waltig große Viehherden die Gasse heraufgetrieben, welche von den
Truppen aus der Gegend von Bautzen zusammengeraubt waren und
zur Verpflegung des Heeres dienen sollten. Das Vieh drängte sich'
in dichten Massen den Elbberg herauf, und die Einquartirung stand
in der Hausthür und sah der Sache zu. Ein verschmitzter Franzose,
er war seines Handwerks ein Metzger gewesen, bespricht sich schnell

2. Sexteinberheft 1903

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