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Münchner kunsttechnische Blätter — 7.1910/​1911

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Nr. 2
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Waetzoldt, Wilhelm: Farbenerlebnis und Kolorismus, [2]
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München, 17. Okt. 1910.

Beüage zur „Werkstatt der Kunst" (E.A. Seemann, Leipzig).
Erscheint <4 tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.

TH. Jahrg.

Nr. 2.

Inhait: Farbeneriebnis und Koiorismus. Von Wilhelm Waetzoidt. (Schluss.) — Römische Wachsmaierei zu
Goethes Zeit. Von E. Berger. (Schiuss.) — Zum Kapitei „Maigründe". — Haitbarkeit moderner Oei-
gemäide. Von C. M.

Farbenerlebnis und Koiorismus.
Von Wiiheim Waetzoidt. (Schiuss.

Soweit die Malerei Farbenkunst sein wiii, be-
stimmt die Natur des Farbeneriebnisses auch das
Wesen seiner künstlerischen Gestaltung. Das will
besagen, die beschriebenen drei typischen Modi-
hkationen des Farbenerlebnisses bedingen drei
grundverschiedene Möglichkeiten koloristischer
Auffassung. (Die koloristische Tendenz der Malerei
setzen wir ja in diesem Zusammenhänge voraus.)
Anders ausgedrückt: die Stile der Farbengebung
sind zu begreifen aus den Farbensehweisen. Der
Malerei gelingt es, einzelne Wahrnehmungsfunk-
tionen — in unserem Falle die Erlebnismöglich-
keiten der Farbe — zu isolieren und sie uns
daher reiner und intensiver erleben zu lassen,
als wir es in der Wirklichkeit vermögen. Indem
der Maler die jeweiligen Erlebnisse des prak-
tischen, des impressionistischen oder des emo-
tionellen Sehens gestaltet, entwirklicht er sie,
aber gerade diese Entwirklichung gibt ihm das
Recht und die Macht zur Heraustreibung der
charakteristischen Merkmale einer jeden Sehweise
und darin die Möglichkeit, dem Auge des Ge-
niessenden Wohltaten zu erweisen, die das Leben
ihm in gleicher Reinheit und Stärke nie gewährt.
Als Mittel, eine Modihkation des Farbenerlebnisses
zu gestatten, dienen dem Maler die Farben samt
ihren Bindemitteln, deren Auswahl und Auftrag
von der jeweiligen koloristischen Absicht be-
stimmt wird.
Der klassische Koiorismus gestaltet die prak-
tische Sehweise, d. h. er gibt die farbigen Er-
scheinungen vorwiegend nach ihrer raum- und
körperdeutenden Fähigkeit wieder. Damit lassen
die Werke dieses Stiles uns das gewohnte und
alltägliche Weltbild wieder erkennen. Eine solche
koloristische Erfahrungskunst wird ihre Motive
dem ganzen Bereiche der gewohnten Sichtbarkeit

entnehmen und, soweit sie Gegenständliches und
Geschehnisse gestaltet, die farbigen Mittel in den
Dienst der Raum- und Körperbildung stellen.
Dabei kann der klassische Koiorismus sogar die
Wiedergabe der wechselnden Wahrnehmungsfarbe
eines Dinges vermeiden und ihr seine Gedächtnis-
farbe vorziehen, lässt diese uns doch am leich-
testen einen Gegenstand wiedererkennen. Der
koloristische Aufbau eines genau, aus der Nähe
und lange gesehenen Naturausschnittes rechnet
mit Aufmerksamkeit, geistiger Spannkraft und
Gedächtnis auch beim Bildbetrachter. Da der
Farbenauftrag darauf bedacht sein muss, die Form
der dargestellten Objekte und die Klarheit des
Raumeindruckes zu bewahren, wird die Pinsel-
führung eine sorgsam modellierende und die
Farbenmasse zusammenhaltende sein. (Typische
Ausprägungen dieses Stiles bei den Altnieder-
ländern, in der altdeutschen und auch in der
italienischen Malerei unter vlämischem Ein-
flüsse.)
Der zweite typische Stil der Farbengebung
macht die vom Gegenständlichen losgelöste
Farbenerscheinung zur Bildaufgabe. Diese Auf-
fassung vernachlässigt also die Formenwelt zu-
gunsten der Farbenwelt, sie gestaltet die impres-
sionistische Sehweise. Damit verschiebt sich dem
erstbeschriebenen Stil gegenüber der Akzent
völiig: an Stelle der Erfahrungskunst tritt die Ein-
druckskunst. Dieses anders gerichtete künst-
lerische Wollen bestimmt auch eine Motivwahl
unter anderen Gesichtspunkten. Der impressio-
nistische Koiorismus sucht das Raumlose, Ungegen-
ständliche, Unkörperliche und Seelenlose auf, weil
ihn nur die Farbenreize an sich interessieren.
Dieser Absicht kommen entgegen Darstellungs-
aufgaben wie das Flimmern der Atmosphäre,
 
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