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Münchner kunsttechnische Blätter — 7.1910/​1911

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Nr. 21
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Wedepohl, Theodor: Wie gross ist der in einem Bilde mögliche Natur-Ausschnitt?: (Aus dem Werke: "Aesthetik der Perspektive".)
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Mnachen, ly.Juü 1911.

Bettage zur „Werkstatt der Kunst" (E. A. Seemann, Leipzig).
Erscheint i4tägig unter Leitung von Maier Ernst Berger.

YILJahrg. Nr. 21.

Inhalt: Wie gross ist der in einem Bitde mögtiche Natur-Ausschnitt? Von Theodor Wedepohl. — Einiges
über Malereien mit matten Farben. Von I. M. T. — Zur Frage der römisch-pompejanischen Wand-
malerei. Von E. Berger. (Schluss.) Gödöllöer Temperafarbe. — Zur geh. Notiznahme.

Wie gross ist der in einem Bilde mögliche Natur-Ausschnitt?
(Aus dem Werke: „Aesthetik der Perspektive".)
Von Theodor Wedepohl.

Kürzlich traf ich einen Maler, der das Interieur
einer Kapelle von quadratischem Grundriss nach der
Natur zu malen suchte. Er stand in einer Ecke
derselben und auf seinem Bilde waren die andern
drei Ecken zu sehen. Offenbar wollte er recht
viel von den reizvollen Dingen der Wirklichkeit
auf sein Bild bringen, aber er hatte eine sehr un-
wahrscheinliche und geradezu unsinnig wirkende
Ansicht erzielt, in der Unwichtiges übermässig
gross und Wichtiges zu klein erschien, und er
scheiterte auch sehr bald an der Unmöglichkeit
dieser Darstellung.
Gegenüber der Landschaft befindet sich der
Maler auch oft in Unklarheit darüber, wo er
rechts und links sein Motiv zu begrenzen hat,
und er ist manchmal geneigt, den Natur-Ausschnitt
zu gross zu nehmen. Es ergibt sich aus der
landläufigen Definition des Zeichnens (der so-
genannten Glastafel-Definition), dass man höchstens
dasjenige Stück der Natur in ein Bild zu fassen
vermag, welches man mit seiner Bildebene be-
decken kann, wenn derselbe die geringste mög-
liche Entfernung vom Auge hat. Letztere muss
selbstverständlich so gross sein, dass man die
Bildebene vollständig zu übersehen vermag, und
erfahrungsgemäss kann man einen Gegenstand,
also hier die Bildebene, dann in allen Teilen über-
sehen, wenn seine Entfernung vom Auge min-
destens seiner Ausdehnung gleich ist. Die Kanten
der in dieser Lage gedachten Bildebene geben
also die Grenzen des Motivs an. Verbinden
wir die Endpunkte einer in der Bildebene liegenden
Horizontallinie mit dem um die Länge dieser
Linie von der Bildebene entfernten Auge, so ent-
steht am Auge ein Winkel, welcher der Seh-

winkel der Bildebene genannt wird, und die Grösse
desselben lässt sich leicht berechnen, er beträgt
52,680. Der dazugehörige Bogen ist annähernd
ein Siebentel des Kreises (= 5LS"). In der
Praxis kann man wohl den Sehwinkel etwas
grösser, bis zu 60° nehmen, d. h. die Bildebene
noch etwas näher an das Auge rücken. Ver-
grössert man aber den Sehwinkel noch mehr,
so zeigen sich besonders bei perspektivischen
Abbildungen archiktonischer Innenräume augen-
scheinliche Verzeichnungen, welche den Eindruck
des Bildes ungünstig beeinflussen. Der oben er-
wähnte Maler in der Kapelle hatte einen Seh-
winkel von etwa 100° angenommen. Auch bei Land-
schaften kommt man nicht zu einem sicheren
Zeichnen, wenn man den Sehwinkel zu gross an-
nimmt. Will man von einem Standpunkt aus etwa
eine Rundsicht (Panorama) auf mehreren Bildebenen
darstellen, so hat man den Horizontalkreis in
sieben Teile, deren jeder einen Sehwinkel von
51,8° hat, einzuteilen oder, wenn auch weniger
bequem, in sechs Teile mit einem Sehwinkel
von 60°. Leichter ist eine Zerlegung in acht
Teile mit einem 45°-Sehwinkel.
Befindet man sich in einem Zimmer, dessen
Fussboden ein Quadrat ist, so kann man in der
Mitte der einen Wand stehend die gegenüber-
liegende, gerade in die Bildebene bringen, aber
nichts mehr von den beiden Seitenwänden.
Wünscht man von diesen noch etwas im Bilde
darzustellen, so ist man auf einen imaginären
Standpunkt angewiesen, der ausserhalb des
Zimmers liegt; man muss sich die Wand fort-
denken und sodann die Ansicht konstruieren.
Falls man aber durchaus nach der Natur die
 
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