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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 4
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Fries, Heinrich de: Die werdende Form: zur Entwicklung der modernen Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0139

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Peter Behrens.
Einfallswinkel die gerade Fensterwand träfe. Hierdurch
wird »nieder der Jnnenraurn zu etwas Lebendigem,
auf einmal fühlt man: hier ist nicht nur eine Wand auf-
gerichtet, sondern dahinter ist ein lebendiger Raum,
der lebt, fühlt und arbeitet, der Licht braucht, viel Licht,
und sich drangt zwischen den Pfeilern seiner Begrenzung
hindurch, um es trinken zu können. Wieder nimmt uns
diese einfache Handlung gefangen, die ein wenig Architektur
uns erzählt. Sie ist nichts Totes mehr, Starres und
Kaltes, „das keine Einfühlung aufzulösen vermag",
wie Dessoir sagt, sie ist ein sehr Lebendiges, das ein
Künstler in die vielfachen Formen organischen Lebens
zu bannen vermag, wenn ihm der Reichtum eigenen
Empfindens gegeben ist.
Die wenigen und unkomplizierten, im wesentlichen
einfachen Beispiele, die angeführt wurden, mögen ge-
nügen, um dem Leben des Baugedankens und der Bau-
glieder ein wenig Verstehen zu geben. Es ist für den un-
geübten Beschauer nicht leicht, dem Bauwerk gegenüber
ein so verhältnismäßig starkes Empfinden aufzubringen.
Die letzten Generationen, fast der ganze Zeitabschnitt
von 1830 bis zur Jahrhundertwende, haben eben die
Fähigkeit dieses Empfindens vernichtet, und die Arbeit
des schaffenden Künstlers der Gegenwart ist doppelt
schwer, weil ihm das Publikum nicht zu folgen vermag,
ja nicht einmal begreifen kann, was er mit seiner Arbeit
überhaupt beabsichtigt und warum diese Arbeit künst-
lerische Arbeit ist. Immer wieder lehrt die tägliche Er-
fahrung, daß auch die gebildeten Laien, fast mehr noch
wie das Volk, den» eigentlichen Wesen der Baukunst
fremd und obne Verstehen gegenübersteht. Architektur

Deutsche Botschaft iu Petersburg (Eckausicht).
heißt ihm zumeist nichts als die dekorativen Zutaten am
Bauwerk, eine Anschauung, die durch das Treiben der
Akademien der alten Schule beinahe berechtigt erscheinen
möchte. Es ist ebenso erstaunlich wie betrübend, daß der
gebildete Mensch der Gegenwart wohl für Literatur und
das ungefähre Verstehen von Musik, Malerei und Bild-
hauerkunst einigermaßen geschult ist, und daß diese Schu-
lung als ein allgemeiner und selbstverständlicher Besitz
erscheint. Die Baukunst aber liegt bislang noch so
außerhalb der Kette des Kunstempfindens, daß neben
der heißen Arbeit für ihre Ziele noch immer wieder ver-
sucht werden muß, das Verstehen des Publikums für die
Baukunst zu erziehen und zu gewinnen. Erst dann könnte
zur Blüte gelangen, was heilte im wesentlichen noch die
harte Arbeit der Vorbereitung und Entwicklung ist,
wenn auch schon hervorragende Bauwerke der ganzen
Bewegung einen Halt, Sicherheit und Wert zu verleihen
beginnen, auch in den Augen des Publikums.
Peter Behrens' Bauten sind hier als Beispiele heran-
gezogen, weil wohl das Willentliche der ganzen Bewegung
sich bei ihm am klarsten ausdrückt und weil in der Schlicht-
heit und Größe des Ausdrucks der Laie weit mehr ein
Begreifen findet, als in komplizierten und lebhaften
Schöpfungen anderer, die dennoch ihres hohen Wertes
keineswegs entbehren.
Fassen wir zusammen, was die Einzelbetrachtung
der Bauglieder uns gelehrt hat. Eine neue Zeit hat ge-
lehrt, den Raum als ein körperlich Lebendiges und Wir-
kendes zu empfinden. Der Raum ist nicht mehr ein Etwas,
das erst durch Begrenzung überhaupt entsteht, sondern
er ist ein konkreter Teil einer ungeheuren plastischen
 
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