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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 4
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Lang, Elisabeth: Das Bohnenlied
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0151

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Das Bohnenlied.

alles wieder in schönster Ordnung war, und nahm ihn auf-
recht und zielbewußt wieder unter die Füße, wie einer,
der seinem guten Sterne gefolgt ist.
Der alte Herr Knüllhuber wohnte in einem Seiten-
tälchen von Himbelingen, etwas abseits von den übrigen
Dorfbewohnern und ganz allein mit einer Haushälterin
in seinem behaglichen Anwesen. Nirgendwo winkten die
hohen Stockrosen so ansehnlich über den Gartenzaun
und nirgendwo brausten die Bienen so königlich um ihre
Stöcke. Honig gab es allerorten, auch auf den Kleewiesen
nebenan und auf zwei starken Linden nahe am Bach. Hier
pflegte der Alte seine Sommernachmittage zu verdämmern,
in einer Hängematte ausgestreckt, die Zeitungen und Käse-
blättchen der Umgegend eifrig studierend. Denn diese
verbanden ihn doch mit dem pulsierenden Leben.
Er hatte, wie man so sagt, sein Schäfchen ins Trockene
gebracht und es so wohl erzogen, daß es nicht einmal mehr
blökte. Es hing gemalt und in Gold gefaßt in der guten
Stube und schaute sehr freundlich auf den alten Sekretär
hernieder, der breit und eichengeschnitzt in der Ecke stand
und all das viele Gold in sich geborgen hielt, die ange-
nehme Bürgschaft für des Hauses Wohlstand.
Zu beiden Seiten des großen Gartens stiegen die Reb-
hügel fast dachsteil in die oben gelegenen Kirschenwälder
hinauf und dehnten sich dort zu sanfteren Höhen aus.
Mithin war es eine schöne Gegend, gegen die man nichts
einwenden konnte. Alle Grenzsteine der Dörfler standen
dort auf ihrem Platze, alle Spatzen wußten es um die
Junizeit, wenn die Kirschen sich färbten, daß der Feld-
schütz am liebsten selbst ein Spatz gewesen wäre.
Der alte Herr nun tat zuweilen einen Gang in selbe
Gegend den Berg hinan, um seiner Leibesfülle abzu-
helfen. Denn die Gadrahul, seine Haushälterin, hatte
seit Jahren keinen anderen Gedanken, als ihn totzu-
füttern. Sie rechnete: je früher er das Zeitliche segnete,
desto eher konnte sie es in Besitz nehmen. Und in Anbe-
tracht dieser Rechnung zähmte sie ihr von Natur grim-
miges Gemüt, aß jeweils etwas Honig und schnupperte
eine Nase voll Duft von den Stockrosen.
Nun war es wieder einmal Herbst geworden, ohne
daß der Alte Todes verblichen, ja er fühlte sich insgeheim
außerordentlich wohl. Die Tage waren von jener ange-
nehmen, zart durchsonnten Kühle, wie sie Menschen, die
in den Jahren sind, gerade wohltun — und wie sie einen
verleiten, einen steileren Pfad zu wählen nach den Berg-
wiesen, wobei einem warm wird, man weiß selber nicht
wie. Und so wandelte er, einem inneren Drange fol-
gend, wieder den mühsamen Pfad der Tugend. Es be-
gegnete ihm dabei mancherlei, das ihm zu denken gab —
und währenddem hatte er beim siebenten Male seines
Aufstiegs die beiden Bohnen aufgelesen und die Ordnung
im Freien wieder instand gesetzt.
Als er nach Hause kam, stand der Jupiter schon zu
Häupten der beiden Linden am Bach und die Gluckhenne
führte ihre Küchlein am Himmelszelt spazieren. Alle
Sterne waren ausgetan und es war so kühl, daß er den
Rock fester zusammenzog. Dabei spürte er zwei harte
Pünktchen auf der Stelle gerade über seinem Herzen^
und nickte immerzu, als ob ihm ein Wunder passiert sei.
„Alter Knüllhuber," sagte er zu sich selbst, „was ist das
für eine Sache!"

Aber die Katze auf dem Gesims merkte nichts davon.
Sie gab einen sparsamen, mißratenen Ton aus ihrer
Kehle frei, als der Herr in die Stube trat, lüpfte die Pfote
ein wenig und sperrte den Mund auf zur Begrüßung.
Dabei fiel ihr das Tröpfchen, das sie immerzu an der Nase
trug, wasserhell herab. Sie schaute ihm bedauernd nach,
setzte sich wieder zurecht und sammelte sich in ihrem be-
scheidenen Gemüte zu einem neuen Nasentröpfchen;
-denn es stand ihr gut, wie ihr das Fensterglas täglich
sagte.
Einige Zeit darauf, als der alte Herr immer noch
nicht Todes verblichen war, obschon der lange Winter ihm
Gelegenheit dazu geboten, trat die grimme Gadrahul
in jene Stube, wo er seinen Mittagsschlaf zu halten pflegte.
Sie hielt eine schwarze Ausgehweste, die sie gebürstet
hatte, über dem Arme, und sie sprach: „Wenn der Herr
die beiden Bohnen immer noch mir zum Arger und herz-
lichen Verdrusse in der linken Tasche will ruhen lassen,
ohne bald etwas damit zu beginnen, so könnte mich ein
Gallenleiden befallen."
„Der Himmel bewahre dich," sagte darauf der Herr,
erhob sich und lief in den Garten. Hier füllte er ein läng-
liches Kistchen mit guter Erde, steckte die Bohnen hinein
und trug sie nach dem Frühlingsfenster seines Gemachs.
Alsbald begannen sie zu keimen, und als man Lichtmeß
im Rücken hatte, schauten sie bereits dankbarlich aus der
dunklen Erde mit je zwei zierlichen Blättlein, wie es sich
für anständige Bohnen geziemt.
Der Alte, der sich nicht weiter um sie bekümmerte,
nachdem er sie gesteckt und versorgt hatte, bemerkte aber
dies heitere stille Wachstum erst, als die Vorfrühlings-
stürme an seinem Fenster rüttelten und die Märzensonne
wärmend auf dem Gesimse umlief. Das Licht, das da
hereinkam, spiegelte sich in dem jungen Grün, das anfing
zu ranken, und warf ihm einen grünen Widerschein
aufs Gesicht. Davon träumte er dann in seinem Mittags-
schlaf allerhand konfuse Bohnenlieder aus der Urzeit,
deren Erinnern ihm in einer Reihe farbloser Jahrzehnte
abhanden gekommen, und gänzlich darin verwickelt, er-
wachte er jäh in ein grünes Wunderlicht hinein, das ihn
sagenhaft und geheimnisvoll umspielte.
Die Katze, die zu seinen Füßen schlief, tat desgleichen.
Sie schrie und schüttelte sich, als habe sie eine Hornisse
lebendig verschlucken müssen, gähnte furchtbar und setzte
die Krallen in die Socken des edlen Hausherrn. „Ist dir's
auch so merkwürdig zumut, alte Mull?" fragte er, gar-
nicht ergrimmt, vielmehr dankbar, daß ein lebendes
Wesen seine Anfechtungen teilte. „Mir schimmert es
nämlich ganz grün durch das Geblüte, aber du hast ja
dein Nasentröpfchen verloren?" — Und da sie es suchte
mit einem kleinen Verlegenheitshusten, stand er auf, lief
eiligst ans Fenster und sah ins Grüne. Das konnte man
jetzt wohl, denn hier entfaltete sich ein Wachsen, Schieben
und Drängen ans Licht, so sichtbar, daß nur ein ländlich-
ehrliches Gemüt nicht furchtsam davor zurückbebte.
Ja, der alte Herr Knüllhuber durfte nur denken: „ob hier
oder dort wohl auch eine Ranke ansetzt" — so war sie
schon heraus und neigte sich ihm entgegen.
So etwas habe ich all mein Lebtag noch nicht gesehen,
dachte er, und rief die Gadrahul herbei, da ihm die Katze
allein nicht genügte.
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