Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

DOI Heft:
Heft 4
DOI Artikel:
Lang, Elisabeth: Das Bohnenlied
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0152

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Das Bohnenlied.
Aber die Alte sagte, sie sähe nichts Wunderbares,
und das -Zeug ziehe nur das Geschmeiß in die Stube
und man müsse es der Leute wegen wegtun, da ein
Bohnenstock noch nie eine Fensterzier v'orgestcllt habe,
lind sie sei eine ordentliche Person.
Nun aber sprach der Herr des Hauses: „Sintemalen
ich die beiden mit eigener Hand vom harten Pfade der
Tugend aufgelesen und ihnen zum Ansehen verhelfen
habe, will ich ihr Wachstum bestehen lassen und ihnen
lieber Stäbe schnitzen, daß sie einen Halt bekommen im
Leben. Wo ich nun doch gesehen habe, daß sie etwas tun
und was sie tun, will ich auch ergründen, warum sie es
tun, denn solches ist nun der gegebene Fall."
Danach schnitzte er Stäbe, denn der Geist hatte bei
ihm seine Wirkung getan. Fortan aber genoß er täglich
mehr der Bohnenwunder, wurde ganz besinnlich dabei,
ging auf den Zehenspitzen durchs Haus und sprach von
Dingen, deren sich die weitsichtige Gadrahul nicht er-
innern konnte.
Das ging so bis in die Osterzeit, allwo selbst die
Hasen Eier legen, was doch auch ein erprobtes Natur-
wunder ist: Da war die ganze Stube des Alten in eine
einzige grüne Bohnenlaube verwandelt, in welcher die
Käferlein, Spinnen und Schmetterlinge auf und nieder-
turnten und kleine Feste feierten. Und manchmal hüpfte
auch ein Laubfrosch aus dem Dickicht dem Schlummernden
über die Nase.
Die Frühlingslüfte gingen ab und zu und taten von
ihrem Balsam und Wundertrank hinein, und eines Tages
brach das Blühen aus, voll und gewaltig, rot wie Feuer
und wieder zart golden und lila getönt, wie die Wachs-
bohnen blühen. Das war ein Duften und Musizieren,
ein Staunen und Raunen, traumentlang und herzhinan,
daß selbst das Schäfchen im Trockenen es nicht mehr aus-
hielt, aus seinem goldenen Rahmen sprang und in der
Stube umhertanzte, als ob es das Gras wachsen höre.
Alsbald auch wuchs es, wie man sich denken kann, blühte
und wogte und trug auf jeder Sternblume ein fröhlich
sich liebendes Mückenpaar.
„Es ist erstaunlich," sagte der alte Herr Knüllhuber
in seinem gesegneten Traume, „was doch der Frühling
alles zuwege bringt, man sollte es nicht für möglich halten."
Da hörte er das Schäfchen bescheiden blöken zu einem
Silberglöcklein, das ihm eben von geschäftigen kleinen
Händen um den Hals gehangen wurde an vergißmein-
nichtblauem Bande. Denn daneben stand plötzlich wie
aus den Blumen geschält ein junges Dorfmädchen in
Mieder und Röcklein, blond gezöpft und roscnüberglüht.
Sie hatte wohl Ursacch dazu, denn das Leben schien
ihr insofern hold, als es ibr einen Herzliebsten zugeteilt,
der jetzt mit ebensolch heißen Wangen in den Bohnen-
schatten trat, also daß man zu gleicher Zeit den azurblauen
Himmel konnte offen sehen, als er mit den jungen braunen
Armen die Ranken teilte.
Die beiden grüßten sich aber nur hold und verliebt
mit den Augen, über welchen die langen Wimpern noch
wunschgefüllt ruhten. Denn der junge Mann setzte gleich
eine Mundharfe an die Lippen und spielte das Lied seiner
Liebe in entzückten und seligen Tanzmelodicn. Jedwedes
Tierlein schwang die Beine oder Flügel und tanzte nut,
das Schäfchen blökte und tanzte einmal mit dem Mädchen

und das andere Mal mit der alten Katze, die von den
Füßen des Hausherrn heruntersprang. Und der alte
Eichenschrank mit dem goldnen inwendigen Herzen gab
all sein Schnitzwerk frei: die Engelein aus der Schnörkel-
krone, zwei Rehlein und zwei Hasen und zwölf zierliche
Mäuse, auch Rosen und Lavendel, welch letztere sich
aber ihrem Blumenwesen entsprechend zu einem duften-
den Kranze vereinigten und dem Mädchen auf das blonde
Lockenhaupt schwebten.
Sie hielt einen Augenblick inne im Tanzen, griff
mit beiden Händen hinauf und warf dann den Blüten-
duft wie aus vollen Schalen in das süße, grüne Dämmer-
licht, tanzte wieder, lachte, leuchtete und glühte.
Der Bursche blies und blies immerzu, als ob er die
Musik der ganzen Welt müßte verströmen lassen. Und
nun flocht er auch die Wunder der beseelten Traurig-
keit, der Sehnsucht und der bitteren Entsagung hinein,
daß ihm zu beiden Seiten der Harfe die dicken Tränen
herunterfielen, mitten ins Gras. Er sammelte sie nicht
auf, sondern blies weiter, wiewohl er sah, daß alles
lebendig mitfühlende Wesen und Getier von Frühlings-
sehnsucht und süßer Trauer befallen wurde und die Silber-
tröpfchen durch den Raum sprühten wie ein Regen vor
der Sonne. Und das siebenfarbige Licht tat sich zu einer
Negenbogenbrücke zusammen, an der die Spinnen ihre
Netze anlegten und darin schaukelten.
Nun aber hatte es den alten Herrn Knüllhuber in
seinem Traume dermaßen ergriffen, daß er heftig mit-
weinen mußte und die Schluchzer ihn erschütterten wie
ein Erdbeben.
„Hör Er, junger Mann," rief er mit erhöhter Stimme
durch den Frühlingstauniel, „was ist denn das für ein
Lied und Getue, daß man sein eigenes Herz nicht mehr
kennt?"
Und der junge Mann legte sein Spielzeug weg und
antwortete: „Mit Verlaub zu sagen, es ist das Bohnen-
lied, Euer Liebden."
Das gefiel dem Alten so wohl, daß er nun rasch sein
Gesicht mit dem Nastuche abtrocknete und fragte: „Aber
wie ist mir denn, was seid ihr denn für Leute, daß vor
eurer Herzmusik die Welt sich auseinandertut und ein
Garten wird, eine Waldwiefe oder was noch mehr, auf
die von oben der blaue Himmel herabscheint?"
Da errötete der junge Mann, und das Mädchen trat
auf einmal neben ihn und er sagte: „Es ist das Lowisel
vom Bannwald und ich bin der Vinzli vom Weiden-
gäßchen, und wir haben uns lieb und heut ist Bohnen-
fest, weil sie nun wieder blühen — die Bohnen."
„Ja, das tun sie," erwiderte der Alte, „es ist ein wahrer
Staat; aber nichts für ungut, ich habe euch früher nie
gesehen und schätze wohl, ihr mich auch nicht, was lauft
ihr nun so ungefragt in meine grüne Stube und harft
und tanzt?"
Nun gerieten sie in große Verlegenheit und wußten
nichts Rechtes zu sagen. Endlich sagte der Vinzli: „Das
ist doch dem Lowisel seine Waldwiese — und da kann
es doch daraüf tun, wie es will, wo es doch so arm ist,
wie eine Kirchenmaus, und nichts hat, als das einzige
Nöcklein und feine Feuerbohnenzier."
„So, so," antwortete der Alte bedächtig, „das ist auch
eine Lesart! Habe nicht ich die Bohnen aufgelesen vom

140
 
Annotationen