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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 7/8
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Manskopf, Johannes: Mantegna
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0294

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Mantegna.
> Zwei seiner Werke scheinen mir sein innerstes Wesen
besonders deutlich zu veranschaulichen. Das eine, die
großartige Zeichnung Herkules und Ankauf scheint mit
ihrer leidenschaftlichen Kraft etwas von dem Kampfe
dieser Mannesseele zu enthüllen. — Das andere ist die
spätere Fassung des heil. Sebastian, die tiefste und
gehaltvollste Gestaltung dieses beliebten Vorwurfes. Die
reiche antike Säule, an der der Heilige gefesselt ist, ist das
Sinnbild der antiken Welt. Aber sie ist nur ein Torso.
So wie sie in späterer Zeit Hebbel in Rom empfunden
und als etwas ihm innerlich Fremdes abgelehnt hat. In
erschütterndem Gegensatz zu dieser vergangenen Schön-
heitswelt steht der Ausdruck des Heiligen, der, von bitte-
ren Leiden gequält, mit schmerzlich verzogenem Antlitz
nach oben schaut. „Das Göttliche allein besteht", lautet
die Inschrift. Dies Bild bezeichnet den inneren Werde-
gang des Menschen und Künstlers. Die Enttäuschung
seiner Seele, die den ganzen Reichtum des Lebens in
sich fassen wollte und doch kein Genüge fand, führte ihn
zu dem, was bleibt, dem Ewigen, zu dem durch Kampf-
leiden die Seele sich emporgeläutert. Man halte neben
diesen Sebastian den von Sodoma, der seinen Heiligen
„in Schönheit sterben" läßt, oder den in Verzückung zur
Himmelskönigin aufschauenden Jüngling auf Correggios
Bild in Dresden, und man schaut Ausschnitte zweier
Welten vor sich, zwischen denen es keine Verbindung qibt.
Die Tragödie seines Lebens öffnet ihm das Ver-
ständnis des Lebens Jesu als des größten Trauerspiels
der Weltgeschichte. So hat er es in der Kunst dar-
gestellt.
Wie die gesamte alte Kunstgeschichte — erst Rem-
brandt hat das Thema erweitert — ist auch Mantegnas
Darstellung des Lebens Jesu von der dogmatischen Auf-
fassung beherrscht, die im großen und ganzen nur zwei
Stationen kennt, die Anfangs- und die Endstation, das
Kind auf dem Mutterschoß und den Gekreuzigten und
Auferstandenen. Und schon im Kindesalter beginnt bei
Mantegna jene Tragödie des leidenden und kämpfenden
Erlösers. Es fehlt die hoheitsvolle Überlegenheit des
Jesuskindes der Sirtina, dessen Augen mit der Ahnung
des Kommenden in die Welt hineinsehen und doch zu-
gleich das instinktive Bewußtsein des Königskindes
spiegeln, das sich im Schoß des Vaters geborgen weiß.
Und in der Auffassung der Maria gibt er zu dem Thema:
Die Mutter und die Zukunft ihres Kindes, einen ernsten
und tiefen Beiwag.
Schon auf dem Altarbild in St. Zeno zeigt Maria
den sorgenvollen Zug und das Kind den leisen Ernst.
Späwr wird der Ausdruck wieder milder und weicher.
Auf dem Bilde in der Brera lauscht das Kind dem Engel-
gesang, und seine Mutter senkt das Haupt mit ernstem
Blick, aber Kise lächelndem Munde. Das^Dresdener
Gemälde gibt in den Mienen des holden Jesusknaben
und der anmuüg ernsten Maria, dem bartlo'en Philo-
sophenbaupte Josefs und den ernst milden Zügen der
Elisabeth eine fein zusammengestimmte Harmonie von
Empfindungen. Um dies Bild recht würdigen zu können,
muß man vorher durch die Säle der Nachrenais'ance
gegangen sein. Welch geistige Erhebung bietet dann ein
solches Werk! — Ein wehmutsvoller Ernst'rubt wieder
auf den Knabengesichtern Je'u und des kleinen Johannes

und auf dem AnUitz der anbetenden Maria auf einem
Bild in London.
Das Werk, in dem diese Auffassung den klassischen Aus-
druck gefunden, ist Mantegnas bekanntestes Bild, die
Madonna mit den Felsen in Florenz. In der Einsam-
keit, getrennt von den in der Ferne in Steinbrüchen und
auf den Feldern um ihr Brot arbeitenden Menschen,
sitzt Maria, das herbschöne jugendliche Antlitz von
schwarzem Haar umwallt, vor einer phantastisch geschich-
teten Felswand. Auf ihrem Knie ruht das Kind und
lehnt das Köpflein an ihre Brust. Während der Aus-
druck der Maria als der eines schwermütig ernsten
Sinnens durchaus klar ist, konnten über die Auffassung
des Kindes die Meinungen so weit auseinander gehen,
daß z. B. Thode es „seiner Behaglichkeit in einem kleinen
Gesänge Ausdruck geben" läßt, Avenarius im Kunstwart
dagegen in diesem Köpfchen den stärksten Ausdruck ge-
ahnten Leides findet. Sieht man davon aber ab, so gibt
das Bild in dem Zusammenklang von Figuren und Land-
schaft die ergreifende Stimmung einsamen, dem Ver-
ständnis der in Alltagsarbeit befangenen Welt ent-
rückten, schwermutsvollen Versenkens der See^e in ihre
Leidenstiefen. In der Madonna deUa Vittoria und be-
sonders in der „Herrlichkeit der Maria" ist derselbe
klagende Ernst sogar den Zügen der in festlicher Pracht
im Lichtglanz der himmlischen Welt inmitten anbetender
und lobsingender Engel thronenden Himmelskönigin auf-
geprägt, und ernst ist auch die Gebärde des segnenden
Kindes. Auf dem schönen Gemälde in der Londoner
Nationalgalerie aber sitzt Maria, mit dem aufrecht
stehenden, die Hand segnend erhebenden Christuskind
auf dem Schoß, wie eine verlassene Königin mit ihrem
Kinde im Erdenland, und Johannes der Täufer, in dem
tiefen Ernst des sanft geneigten Hauptes eine der schönsten
Gestaltungen dieses Typus, sowie die gläubig zum
Himmel aufschauende Magdalena stehen ihr zur Seite
wie treue Diener, die das Gelübde abgelegt: ob alle
untreu werden, so bleib ich dir doch treu!
Aber alles, was diese Gemälde in ihrem malerischen
Schmuck und der eigentümlichen Mischung von Monu-
mentalität und zartem, tiefem Ernst der Empfindung an
Stimmungskraft enthalten, will doch fast erblassen vor
den einfachen Linien eines kleinen Kupferstichs. Er zeigt
Maria auf dem Boden Etzend, von den reichen Falten
ihres Gewandes umwallt und den Kopf an ihr Kindlein
lehnend, das sie mit beiden Händen an sich preßt. Man
wird still vor diesem Bilde, und ein anderes von gleicher
höchster Einfachheit und tiefster Empfindung und also
von höchster Kunst tritt vor die Seele: Der Christus auf
dem Titelblatt zur kleinen Passion von Dürer. Ihr Sohn
als der Einsame, Verlassene, Verleugnete, das ist die
Zukunft, die diese Mutter im Geiste schaut. Daher das
schützende, angstvolle Umfanqen des Kindes in ihren
Armen. Schwerstes Erdenschicksal, geschaut für ihr Kind
von einem Mutterauae, gefühlt von einem Mutterherzen,
das sich berufen weiß, mit all seiner Liebe ihr Kind zu
schützen, und es doch hingeben muß. In diese tiefsten
Leidensgeheimnisse läßt uns das einfache Bildchen
schauen.
Und noch ein Eindruck wird in uns lebendig: Der
träumerische Mutterblick, der auf Rembrandts Radierung

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