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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 10/11
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0390

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Das gehörte, streng genommen, nicht hierher. Und streng
genommen doch. Denn es ist ein Wesentliches, das man aus dieser
Ausstellung mit sich sortnimmt: das Ganze aus dem Einzelnen,
das mehr ist als die Summe der Einzelheiten.
Sehen wir, was es gibt: Halsketten, dicker, dicker Bernstein
und glänzend schwarze Jetperlen; leuchtende Granaten zu fun-
kelnden Sternen und Kreisen gefügt als Spangen, als Broschen;
Uhranhängsel, vor allem Siegel, die schwer auf sehr umfangreichen
Bäuchen gependelt haben, Armbänder von möglichster Breite zu
einer zentimeterhohen Fassung anschwellend, in der ein schön-
farbig gestimmtes Mosaik — etwa weiß und zartgrün auf schwarz —
eingebettet liegt; und eine Brosche: ein Stab, wie eine Hantel
und noch einmal so eine blaue Kugel daran hängend — das schenkte
ein Kaiser einer Tänzerin—; ausgedehnte Amethystkreuze und, uns
aus dem Schmuckkasten der Mutter erinnernd vertraut, in roten
Reihen übereinander Korallen zu allen Gegenständen und in jeder
Bearbeitung. Dies sieht man zuerst und so wollten auch die, die
diesen Schmuck einst trugen: man sollte ihn sehen. Nicht sehr kul-
turell, vom Sohn vielleicht protzig genannt, aber doch Ausdruck
von selbstsicherer Bürgerlichkeit, Kaufmannstum, Gediegenheit.
Man geht unverhohlen auf Wirkung, aber man ist reell: der Be-
schauer kann den Erstehungspreis beim Juwelier auf Heller und
Pfennig berechnen. Noch aber rankt sich aus erst kürzlich vergangenen
Tagen himmelblaue Romantik hinein und führt einen Schritt zurück
in die Zeit, himmelblau wie die Armbänder aus Email mit einem
Perlenstern darin, und so sinnig wie die Armbänder, die Uhrketten
aus kunstvoll geflochtenen Haaren, und Haare ziehen sich auch wohl
durch Lücken eines Schlangenrings mit brillantenen Äuglein
und fügen gar unter einem Medaillon Landschaften zusammen,
blond und braun und grau, wie das Alter sie nacheinander gefärbt
hat. Aber die Ringe sind vor allem merkwürdig und schön: mannig-
faltiger Stein in Fassungen von gut überliefertem Handwerk,
welche mit kleinen Kapselfächern für Gift — es muß einmal zum
guten Ton gehört haben, den potentiellen Selbstmord auf dem
Finger zu tragen — dann Symbolisches, Glaube, Liebe, Hoffnung,
durch die Farbe der Steine ausgedrückt, oftmals ein Herz und ein
Anker, ein kleiner gekreuzigter Christus als Ringkrönung: Miniatur-
Äolsharfen des ausgehenden Nazarenertums. Und noch andere
verborgene Beziehungen, die man als Enkel nicht erkennt, und auch,
was man jetzt weiß, hat man zum großen Teil von einem erfahrenen
Begleiter als kulturhistorische Kenntnis übermittelt erhalten.
Zum Ältesten, was vorhanden ist, gehören Taschenuhren.
Wundervolle dicke Silbereier, aber auch elegante flache Muscheln,
die der modernen flachen Uhr die Priorität ablaufen. Auf zwei
Tellern liegen wie zum Darinwühlen zierlich ausgeführte Uhr-
spindeln und Werke ohne Gehäuse (einem sieht man unter einer
schließenden Glashalbkugel bis ins Herz) verraten, daß man damals
wohl gern in ihr ruheloses Getriebe hineingeschaut hat: fast phanta-
sievoller noch als die äußere ist manchmal die filigranerne innere
Ausstattung. Überhaupt — sie müssen damals persönlicher und
wärmer gefühlt haben für den pochenden Begleiter durch die Zeit.
Schon der Kauf, oft wie eine Ehe fürs Leben, ging näher, und keine
nervös am Knopf drehende Hand belebte das Radherz im Innern.
An der Kette hing blitzend der Uhrschlüssel und wollte mit Sorgfalt
in sein Schloß gesteckt und achtsam und liebevoll gehandhabt sein.
Kein Wunder, daß auch ihm Form zufloß aus der warmen Menschen-
hand, und so sehen wir kleine, goldblinkende Szepter und sehen
ihn mit Steinen geschmückt, zierlich wohl und in die Jahre hinein
klobiger werdend, und eine Gesinnung, die wir kennen, bildet ihn
schließlich gar in Gewehr- und Revolverform um. Und so schossen
sie zuletzt beim Aufdrehen jedesmal die lebendige persönliche Uhr
ins Herz, bis sie es nicht mehr aushielt und sterben mußte.
Becher sind da, zu Kindtaufen geschenkt, meist schlicht mit
glatten Formen, einer, vielbucklig, trägt viele Namen einer Familie
von Kleist, und reizende Silberdöschen sind da für duftende
Schwämmchen und in Damenbeuteln zu tragen, Zuckerdosen
und Schnupftabaksdosen, und eine Sammlung von Plaketten,
und eine Münzsammlung (darunter viele preußische Segentaler)
und Bauernschmuck und noch vieles, daß man nicht leichter davon
loskommt als ich jetzt davon beim Schreiben.
Wirklich, man hat zu danken, daß man diese Dinge sehen
konnte. Aber ich würde gar nicht traurig sein, wenn ich höre, daß
alles wieder zu Einzelnen gegangen ist, wie es von Einzelnen kam.
Deshalb: weil die Freude der Besitzer und ihres Kreises an diesen
stillen Gegenständen in ihrer Summe doch noch vielmal größer sein
wird, als von uns noch so erwärmten Besuchern. s651j

eim Lesen von Freytagö Lebenserinnerungen.
Freytags Romane sind allgemein bekannt, wenige aber haben
seine „Erinnerungen" gelesen, die den ersten Band seiner „Ge-
sammelten Werke" bilden. Man hat hier den ganzen Mann im Aus-
zuge, mit Vorzügen und Nachteilen. Ein Buch so bar aller eigent-
lichen Natur, daß man sich fast scheut, es zur Kennzeichnung seiner
Täglichkeit mit irgend etwas vegetativ Täglichem zu vergleichen,
mit Brot oder klarem Wasser. Nüchtern und bescheiden ge-
schrieben, in einem Stil, der jeden Schmuckes und Zierats er-
mangelt, aber erfreut durch das natürliche Gleichmaß langhin-
gesetzter Perioden, der mit Absicht das schwächere Wort dem
stärkeren vorzuziehen scheint und freilich sofort versagt, wo eine
gewisse Mittellage des Tones notwendig überschritten werden
muß und die Dynamik stärkerer Worte unentbehrlich ist. Ein
Buch ohne Natur: ohne den stärker pochenden Blutgang des
Künstlers und ohne den Luftzug des Atmosphäre und Kosmos
spürenden Lebewesens; dem aber die Natur ersetzt ist durch
die fast naturhaft gespürte Geschichte. Freytag fühlt Geschichte
selbst als einen großen Naturprozeß; die Bildungen, das Auf-
steigen, das Sinken menschlicher Gemeinschaften ist ihm ein
naturhafter Vorgang, Gefühl und Erkenntnis von Geschichte tut
dem Verlangen nach Genuß und Erkenntnis organischer Brldung
genug. Einer Fülle von Persönlichkeiten aus mannigfachen Be-
reichen des deutschen Volkes, vornehmlich aus den führenden
Schichten des Bürgertums, ist Freytag begegnet; die Weite
seines Umkreises, des geistigen wie auch des persönlich berührten,
ist bedeutend: wie er mit seiner Abstammung und als historischer
Forscher tief zurückreicht in die Längslinie der deutschen Ent-
wicklung, so ist in ihm auch ein unbewußtes Streben, seine eigene
Zeit, den Querschnitt, in möglichst weiter Spanne, nicht nur in
wirkendem Durchdringen, auch in persönlicher Anschauung, zu
erfassen. Die geschilderten Persönlichkeiten erscheinen nie als
starke Individuen, deren Abgründe und Schluchten, deren Schich-
tungen und Vergipfelungen beleuchtet werden, sondern sie werden
alle umzogen von einer anähnelnden Atmosphäre; auch hier
wird Freytag bestimmt durch das kollektivistische Bewußtsein: er
fühlt die Menschen in ihrer sozialen Verbundenheit, als Glieder
einer Klasse, des Bürgertums, oder einer Schichte, der Geleimten.
In zwei Titeln seiner Werke spiegelt sich diese Art der Betrachtung:
„Die Ahnen" und „Die Journalisten". Selten dringt er unter die
foziale Bestimmtheit, zum Beispiel vergleicht er einmal recht fein
die dreifache Gliederung der politischen Parteien mit den ästhetischen
Gattungen: die Konservativen sind ihm die Epiker; die Mittel-
parteiler, die Wert und Recht beider kämpfenden Kräfte zu wägen
vermögen, sind den Dramatikern verwandt; und die Männer
der Linken, wenigstens zu einem Telle, sind ihm die durch das
Gefühl bestimmten Lyriker. Hier macht Freytag einen Versuch,
hinter die sozialen Typen zu greifen und zu Grundformen
menschlicher Natur vorzudringen. Sonst aber ist das Be-
reich, das ihm erkennbar ist, die Gesellschaft, der Staat, der
Stand, die Partei, der Verein. Manche kluge Erfahrung wird
formuliert, über Vereine von Leuten einfacher Bildung, überSamm-
lertum, über Parteiwesen, über Höfe, aber nirgends steigt ein
starkes Individuum in mächtiger Kontur empor. Bismarck erscheint
kaum anders denn als ein Abstraktum: die starke Willenskraft, die
das Reich gegründet hat; mag hier seine Antipathie mitgewirkt
haben: doch Männer, die Freytag nahegestanden haben, werden
nicht bildhaft. Cs ist wie eine Scheu vor Größe, in welcher Form
auch immer sie erscheint, es sei denn in der überpersönlichen Form
des Volksganzen. Auch der Held des Freytagschen Trauerspiels
„Die Fabier" ist nicht ein Einzelner, sondern ein Geschlecht: ein
dritter Titel von sammelndem Charakter. Diese Scheu vor dem
„großen Wort" und diese Scheu vor der großen Persönlichkeit
entstammen der gleichen Unsicherheit gegenüber einer Dynamik,
die ein bestimmtes Mittelmaß übersteigt; ein unwillkürliches Aus-
biegen vor erschütternder Gewalt. Man erkennt von neuem die
tiefe Korrespondenz zwischen Mächtigkeit der Sprache und Mäch-
tigkeit der Seele, zwischen Pathos und Monumentalität. Hier
erscheint alles mehr oder minder eingeebnet. Man hat das Gefühl,
daß dieser Mann, wäre er Lehrer geworden, keine Leistung als
„lobenswert" bezeichnet hätte, sondern höchstens mit „gut" und meist
nur mit „genügend". Seine Erinnerungen sind reich an Menschen,
die er gut und tüchtig nennt, aber er nennt aucb den starken Schau-
spieler Heinrich Marr tüchtig, und sagt von Julian Schmidt, seine


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