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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 26.1916

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Heft 10/11
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https://doi.org/10.11588/diglit.26490#0392

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ycho de Brahes Weg zu Gott*.)
Tycho de Brake ist ein Name aus der Geschichte der Sternen-
wissenschaft, daneben aus der Provinzialgeschichte des habsburgi-
schen Böhmen, von jenen vergessenen Davidsbündlern, die der
schwermütige Saul Rudolf der Zweite zu seinem Umgang an seinen
Hof von Prag versammelt hatte. Es waren Kulturblüten, in denen
der Wurm schon des Dreißigjährigen Krieges schlummerte, eine
Hofhaltung von großem und hohlem äußerem Prunk, von schlechten
Bildern und Reden, eine wahre Altersschwäche der schon in ihrer
Jugend wertlosen, nun aber seit einem Jahrhundert über die Alpen
verpflanzten italienischen Spätrenaissance. Was den Tycho betrifft,
so ist er dem Kenner verblichener Altertümer von seinem Grab-
stein in der alten Prager Hussiten-Kathedrale bekannt. Hier steht,
an die Wand gelehnt, eine abgetretene Platte aus rotem Sandstein,
wenn ich nicht irre, mit einem Ritter darauf. Und da in dem ganzen
Raum kein gleichzeitiger bedeutender Stein zu sehen ist, Tychos
Monument aber hier erhalten sein soll, so schließt der Antiquar
aus der Stätte mehr als aus der Inschrift, daß dieses eines einstigen
Ruhmes letzter Überrest ist.
Durch sich selbst wird all das wohl keinen modernen Geist
zur Produktivität anregen oder sich gar einer mit Gott ringenden
Seele als verwandt aufdrängen. Man wird zwischen Altertümern
unterscheiden, die ehrwürdig sind, weil der Geist in ihnen auch heute
noch lebendiger ist als in uns selbst, und zwischen lokalem oder
anderem Plunder, in dem nur das Menschliche (vorausgesetzt, daß
es kein Allzumenschliches ist) noch unser Mitgefühl auszusprechen
vermag. Max Brod hat es trotzdem unternommen, den alten
Astronomen und Ritter Tycho de Brahe zu einem Träger gott-
ringenden Geistes zu gestalten. Aus welchen Gründen der Autor
so wollte, errät man aus der Erzählung selbst, zu ihrem Nachteil.
Brod fand in Tychos Schicksal einige Ähnlichkeit mit seinem eigenen
Lose — 6ar toi 68toit SON plUÄr. Und als treuer Schilderer wählte
er dann jene Form, in der unsere Oheime erzählten: das epische
Provinzmuseum, das ihm denn auch langweilig und abschreckend
genug gelungen ist.
Das alles wäre zunächst nur ein Grund, nun Max Brod end-
gültig abzutun, nach vielen früheren Angriffen, deren Gleichnis
der Autor leider in seinem Roman verwoben hat. Brod gehört
aber zu den seltenen Schriftstellern, deren Bücher meist schlecht
genug sind, daß der abgefallene unselbständige Bewunderer daran
Anstoß nehmen kann — und doch so notwendig und ernst, daß sie
einem ernsten Leser wichtiger erscheinen als so viel besser gelungene
Durchschnittsdichtungen. Karl Kraus, der Schwinger der Wiener
Fackel, hat vor Jahren zusammen mit schmutzigen Fliegen auch die
Schläfe des Dichters Max Brod geopfert, nicht ganz mit Unrecht frei-
lich; aber noch weniger mit vollem sittlichen oder ästhetischen Recht.
Max Brod ist zunächst derjenige deutsche Erzähler, der als erster,
und wohl auch als einziger, der „Erfindung", der falsch-symbolischen
„Handlung", in zwei großen Romanen, in seinen „Jüdinnen"
und dem „Arnold Beer", vollends den Kragen abzudrehen versucht
hat. Ein Vorzug, in den der unruhige Schriftsteller, unser un-
ruhigster vielleicht, in hinein Tycho freilich nicht wieder verfallen
ist. Außerdem hat Brod eine unserer kühnsten, innerlich roman-
tischen Kompositionen unternommen: sein „Schloß Nornepygge",
das ein typischer Aufschrei einer von allen Schwertern der Zeit
getroffenen Jugend ist, und das gerade dem stets erregten Karl
Kraus nicht Feind, sondern vielmehr Bruder ist. Dieser Fackelgeist
heißt in Tycho de Brahes Welt Pamphletist „Ursus", er ist, bei-
läufig bemerkt, dem Verfasser noch häßlicher mißlungen, als seinem
Originale der Verfasser. Indessen ist der angegriffene Max Brod
seinen Weg der tausend äußersten Experimente weitergegangen,
einen Weg, der ihn nun schließlich von der Exaktheit und über die
Gerechtigkeit nach dem Meer des Geistes und auch aller Literatur
gebracht hat: auf den Wellengang von dem Künstler zurück zu seiner
starken Flut, der Gottheit der Religion.
Ob nun diese Bahn, die für Max Brod so lange nur einer
strengsten Beobachtung des Gestirnten galt, sich wirklich zu einer
Milchstraße verbreiten wird? — Jedenfalls, das biblische Wort,
*) Roman, bei Kurt Wolff 1916.

das er seinem Buch vorsetzt, das Wort: „Ich lasse dich nicht, du
segnetest mich denn" des Israel und Gottesstreiters, dieses wollen
wir dem Dichter, also daß er und seine Ursi es merken, fest an die
Stirne hämmern. Max Brod ist seit mehreren Jahren persönlich
in einen Kreis von Zionisten, Suchern nach der Gerechtigkeit, und
auch ein wenig der Kabbala, gekommen. Ihr Wahlspruch ist das
mosaische: Heilig sollt ihr sein, denn heilig ist euer Gott. Doch
ihnen erscheint Gott also leidend, daß ihm die Menschen mit ihren
Werken zu Hilfe kommen müßten und dürften. Kann sich Max
Brod erst von diesem Rest einer religiösen Verengerung befreien,
so darf er seine Leser wohl noch weiter den Weg seiner Tycho
und Keppler führen. Schon sein vor zwei Jahren erschienenes
Schauspiel „Die Retterin" zeigte den Ethiker Brod strebend nach
einer ganz reinen Menschlichkeit. Der vorliegende Roman enthält
einige warm überzeugende Seiten von einer weit größeren, über
allen Genuß am Schönen erhabenen, Schönheit; den Triumph
einer Seele, die sich aus edler Natur zu dem schneeigen Gipfel
einer Verbundenheit mit Geist und Gesetz der Welt aufreißt. Für
dieses Gefühl hat der Dichter in der Sternenwelt, in ihrer Durch-
forschung durch zwei scheinbar sich feindliche menschliche Größen,
ein fast unübertroffenes Symbol, einen bedeutenden Aspekt ge-
wonnen. Leider glaubte er, nun noch den Wust von alten Himmels-
globen und ähnlichem Urväter-Hausrat hinzutun zu müssen. Doch
ist selbst dem Antiquar hinter dem Dichter eine zärtlich gehandhabte
Nebenfigur gelungen: der Kaiser Rudolf in seiner geschichtlich be-
kannten Schwermut. Ein Haupt nahe dem Doppeladler, das nur
aus sanfter Nachgiebigkeit jenen Weg ins Elend, der nicht Tychos
Weg ist, geht und führt. s631j
Hellerau. Paul Adler.
Oenau und Sophie Loewenthal.
Auch wer kein Freund jener unzähligen Ausgaben von Dichter-
briefen ist, mit denen vor dem Kriege philologische und verlege-
rische Betriebsamkeit uns überschwemmten, wird doch zustimmenden
Beifall der geschmackvollen Auswahl aus Lenaus Briefen an Sophie
Loewenthal nicht versagen können, welche der Insel-Verlag jüngst
in seiner „Österreichischen Bibliothek" veröffentlicht hat (in Papp-
band 60 Pfennig). Denn, so paradox es klingen mag, in diesem
Bändchen steht eigentlich das Reichste und Eigenste, was der Dichter
Nikolaus Lenau uns hinterlassen hat. Mit ungewohnter Elemen-
tarität tritt der Künstler, der uns in Lenaus Gedichten oft durch
epigonenhafte Form und sentimentales Pathos verdeckt ist, in
der unmittelbaren Leidenschaft dieser heimlichen Zettel entgegen,
welche er an die Geliebte schrieb, die eines verehrten Freundes
Gattin war.
Doch wäre es Oberflächlichkeit, aus der Pein der äußeren Um-
stände das große Leid dieser Liebe zu deuten. Lenaus tragische
Natur mußte tragische Umstände suchen, deren schmerzensreiche
Qual unentrinnbar war. Seinem Leben war die Leichtigkeit
flüchtigen Tändelns ebensowenig gegeben, wie geruhigten Glückes
stetiges Ebenmaß. Seine schmerzwühlende Seele konnte ersehnte
Steigerung nur in einer Liebe empfinden, aus der unerlöster Drang
in hoffnungsvollen Qualen emporschwelte.
Vergängliche Episoden waren ihm die anderen Frauen ge-
wesen. Hier aber war das Schicksal. Die reife Frau. Wissend, ver-
stehend, vollendet. Die einfühlende Freundin, die liebevoll Anteil
nahm an dem Ringen seiner Seele und an seinem künstlerischen
Schaffen. Doch vor allem immer und immer wieder das lockende
Weib, weich und verschlossen, nahe und doch unerzwingbar. Wenn
nicht an ihrer Sittenstrenge, scheiterte Lenaus stürmisches Begehren
an der klugen Seelenkenntnis dieser Frau. Ihr war bewußt, daß
sie den Geliebten verlor in dem Augenblicke, da sie ganz sich schenkte.
Sie erkannte, daß von dieser Stunde an die Liebe für ihn keine
neuen aufschürfenden Erlebnisse mehr hätte, daß die Sehnsucht
für ihn verloren wäre und er sie würde suchen müssen bei einer
anderen Frau. So versagte sie sich, um ihn zu halten. Und gab
ihm solcher Art zehn Jabre hindurch die kraftzerwühlende Unrast
einer ewig unglücklichen Liebe auszuschlürfen: all ihre Hoffnungen
und ihre Schmerzen, all ihr Glück und ihr zernichtendes Weh.
s673s Mar Fischer.


Verantwortlich: Wilhelm Schäfer. — Druck und Verlag: A. Bagel, Düsseldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Gedruckt mit Farben der Ehr. Hostmann - Steinbergschen Farbenfabriken, G. m. b. H., Celle (Hannover).
Alle redaktionellen Sendungen sind an den Herausgeber Wilhelm Schäfer in Vallendar a. Ich. erbeten.
Für unverlangte Manuskripte und Nezensionsexenrplare wird keine Verpflichtung übernommen. Rückporto ist beizulegen.
 
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