54
Das Jüngste Gericht
in der wenig sichtbaren Figur links unten neben Abel dargestellt?
Der bärtige Mann, der hinten zwischen Adam und Abel erscheint,
mit einer Kappe auf dem Kopf, kann, da wir eine historische
Reihenfolge in dem Aufbau der Gestalten nach hinten finden,
Niemand Anderes als Abraham sein. Die Deutung auf Bernhard
von Clairvaux durch Steinmann ist ganz willkürlich, und auch die-
jenige Kallabs, der von Moses spricht, ausgeschlossen, da wir Moses
an einer anderen Stelle finden. Neben Abraham wird links der
Kopf Sarahs sichtbar. Die zwei Frauen darüber, die eine Gruppe
für sich bilden und sich umschlingen, können nur als Lea und
Rahel aufgefasst werden, und zwar muss die mit nackten Armen,
welche Abraham auf Adam hinweist, Lea (vita activa), die andere,
welche feierlich wie lehrend die Hand erhebt, Rahel sein. Es folgt
weiter hinten eine Gruppe von fünf jugendlichen Männern (nicht
Frauen, wie Kallab sagt), unter denen zwei besonders hervortreten.
Die vordere unmittelbar über Lea dürfte Jakob, die hintere
Joseph sein. Oder soll man sie Isaak und Jakob nennen? Hier
wird die Bestimmung unsicher. In den anderen Jünglingen könnte
man Esau, Benjamin, respektive auch Joseph voraussetzen, in der
Frau rechts neben Joseph Rahab? in dem Alten mit dem priester-
lichen Kopftuch hinter ihr Aaron?
Die hintersten Figuren, wieder theilweise durch geschlossene
Augen als Vertreter des Alten Bundes gekennzeichnet, fliegen über
Christus hinweg nach der Apostelseite rechts. Da der Künstler
nicht alle alttestamentarischen Gestalten links anbringen konnte,
hat er sich in der Weise geholfen, dass er deren Zug sich von
hinten bis ganz nahe an die Apostel herandrängen lässt. Er macht
so, wie auch bei den Propheten und Confessores, den unmittel-
baren Zusammenhang zwischen dem Alten und dem Neuen Bunde
anschaulich. Dass wir hinter den Aposteln alttestamentarische
Figuren zu gewahren haben, macht eine genaue Prüfung unzweifel-
haft. Denn erstens haben wir wieder Mehrere mit geschlossenen
Augen vor uns, und zweitens sind zwei Gestalten mit phantastischen
Kopftrachten auf das Deutlichste als Juden charakterisirt. Aber
nur für Einige darf man vermuthungsweise Namen vorschlagen,
wobei zu beobachten, dass es sich hier um zeitlich späte Persön-
lichkeiten handeln muss.
Ganz oben würde man Josua, Gideon, Simson, Barak, Ruth zu
finden glauben. Ausgezeichnet erscheint eine jugendliche Gestalt
mit einer helmartigen Bedeckung — bei ihr könnte man an Gideon
oder Josua oder Simson denken. Bei dem Alten rechts mit
dem priesterlich wirkenden Hut an Samuel und bei seinem Nach-
bar mit prononzirter jüdischer Physiognomie und einer Art Pelzhut
etwa an Kaleb oder Nathan. Chapon irrt sicher, wenn er hier die
Das Jüngste Gericht
in der wenig sichtbaren Figur links unten neben Abel dargestellt?
Der bärtige Mann, der hinten zwischen Adam und Abel erscheint,
mit einer Kappe auf dem Kopf, kann, da wir eine historische
Reihenfolge in dem Aufbau der Gestalten nach hinten finden,
Niemand Anderes als Abraham sein. Die Deutung auf Bernhard
von Clairvaux durch Steinmann ist ganz willkürlich, und auch die-
jenige Kallabs, der von Moses spricht, ausgeschlossen, da wir Moses
an einer anderen Stelle finden. Neben Abraham wird links der
Kopf Sarahs sichtbar. Die zwei Frauen darüber, die eine Gruppe
für sich bilden und sich umschlingen, können nur als Lea und
Rahel aufgefasst werden, und zwar muss die mit nackten Armen,
welche Abraham auf Adam hinweist, Lea (vita activa), die andere,
welche feierlich wie lehrend die Hand erhebt, Rahel sein. Es folgt
weiter hinten eine Gruppe von fünf jugendlichen Männern (nicht
Frauen, wie Kallab sagt), unter denen zwei besonders hervortreten.
Die vordere unmittelbar über Lea dürfte Jakob, die hintere
Joseph sein. Oder soll man sie Isaak und Jakob nennen? Hier
wird die Bestimmung unsicher. In den anderen Jünglingen könnte
man Esau, Benjamin, respektive auch Joseph voraussetzen, in der
Frau rechts neben Joseph Rahab? in dem Alten mit dem priester-
lichen Kopftuch hinter ihr Aaron?
Die hintersten Figuren, wieder theilweise durch geschlossene
Augen als Vertreter des Alten Bundes gekennzeichnet, fliegen über
Christus hinweg nach der Apostelseite rechts. Da der Künstler
nicht alle alttestamentarischen Gestalten links anbringen konnte,
hat er sich in der Weise geholfen, dass er deren Zug sich von
hinten bis ganz nahe an die Apostel herandrängen lässt. Er macht
so, wie auch bei den Propheten und Confessores, den unmittel-
baren Zusammenhang zwischen dem Alten und dem Neuen Bunde
anschaulich. Dass wir hinter den Aposteln alttestamentarische
Figuren zu gewahren haben, macht eine genaue Prüfung unzweifel-
haft. Denn erstens haben wir wieder Mehrere mit geschlossenen
Augen vor uns, und zweitens sind zwei Gestalten mit phantastischen
Kopftrachten auf das Deutlichste als Juden charakterisirt. Aber
nur für Einige darf man vermuthungsweise Namen vorschlagen,
wobei zu beobachten, dass es sich hier um zeitlich späte Persön-
lichkeiten handeln muss.
Ganz oben würde man Josua, Gideon, Simson, Barak, Ruth zu
finden glauben. Ausgezeichnet erscheint eine jugendliche Gestalt
mit einer helmartigen Bedeckung — bei ihr könnte man an Gideon
oder Josua oder Simson denken. Bei dem Alten rechts mit
dem priesterlich wirkenden Hut an Samuel und bei seinem Nach-
bar mit prononzirter jüdischer Physiognomie und einer Art Pelzhut
etwa an Kaleb oder Nathan. Chapon irrt sicher, wenn er hier die