Die Urtheile über das Jüngste Gericht
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Spuren gehend, sieht d'Azara in der Michelangelo'schen Kunst, als
deren Beispiel er das Jüngste Gericht zitirt, keine Schönheit,
sondern nur die Absicht, ,,pompa del suo sapere" zu machen, ge-
waltsame Bewegungen, einzig bestimmt, die anatomischen Kennt-
nisse zur Schau zu tragen, einen groben und schwerfälligen Stil
(Mengs: Opere publ. da G. N. d'Azara. Parma 1780, I, 115). Die
abfälligen Urtheile Frearts und Milizias sind bekannt. Richardson
(III, 496 ff) rede von „Improprietes, Indecences, Absurdites", findet
das Ganze ohne Harmonie, sehr unangenehm und aus dem Wunsche
des Künstlers, Parade mit seinen Kenntnissen zu machen, hervor-
gegangen. Volkmann spricht von „wildem Getümmel", mangelnder
Verbindung der Gruppen, fehlendem Anstand, Monotonie im Aus-
druck, verfehlter Charakteristik der Maria, die dreist, hochmüthig,
ja beinahe schrecklich wirke, und rühmt nur die Kraft, die Kühn-
heit und Grösse der Zeichnung (II, 108). Ramdohr geht so weit,
das Gemälde ein Beispiel schlechten Geschmackes zu nennen. Die
Gestaltung oben sei symmetrisch, die unten unordentlich, der Aus-
druck allenthalben übertrieben und oft gemein, viele Gedanken
seien sogar ekelhaft (der hl. Bartholomäus, der Wollüstige). Es
zeige sich ein Mangel an Haltung und Kolorit (I, 179). Von
Quatremere de Quincy wird dargethan, wie der gelehrte Prunk der
Anatomie der Mannigfaltigkeit des moralischen Eindruckes schade.
Nirgends finde man eine solche Nichtigkeit des moralischen oder
Gefühlseffektes. Am Weitesten in der Verurtheilurtg der Kompo-
sitionsweise ist Speth in seiner „Kunst in Italien" gegangen: er
sieht nur ein „gräuliches Gewirr".
Inzwischen ist auch die Anklage, die das Nackte betrifft, nicht
ganz verstummt. In einer Satire über die Malerei (S. Rosa: Satire,
Liriche, Lettere. Milano, Sonzogno 1892. S. Ii8 f.) geisselt Salvator
Rosa den Hochmuth der Künstler und bringt als Beispiel Michel-
angelo:
Ma tutta l'albagia non credo ch'abbia
Un fatto piü superbo e piü bestiale
Di quel ch'ora mi viene in sulle labia.
Scoperse il suo Giudizio Universale
Michel'Angelo al Papa; e ognun che v'era
Lo celebrava un' opera immortale.
Solo un tal cavalier con faccia austera,
E con parole di rigor ripiene
Favellö col pittore in tal maniera:
Questo vostro Giudizio espresso e bene,
Perche si vedon chiare in questo loco
Della vita d'ognun le parti oscene.
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Spuren gehend, sieht d'Azara in der Michelangelo'schen Kunst, als
deren Beispiel er das Jüngste Gericht zitirt, keine Schönheit,
sondern nur die Absicht, ,,pompa del suo sapere" zu machen, ge-
waltsame Bewegungen, einzig bestimmt, die anatomischen Kennt-
nisse zur Schau zu tragen, einen groben und schwerfälligen Stil
(Mengs: Opere publ. da G. N. d'Azara. Parma 1780, I, 115). Die
abfälligen Urtheile Frearts und Milizias sind bekannt. Richardson
(III, 496 ff) rede von „Improprietes, Indecences, Absurdites", findet
das Ganze ohne Harmonie, sehr unangenehm und aus dem Wunsche
des Künstlers, Parade mit seinen Kenntnissen zu machen, hervor-
gegangen. Volkmann spricht von „wildem Getümmel", mangelnder
Verbindung der Gruppen, fehlendem Anstand, Monotonie im Aus-
druck, verfehlter Charakteristik der Maria, die dreist, hochmüthig,
ja beinahe schrecklich wirke, und rühmt nur die Kraft, die Kühn-
heit und Grösse der Zeichnung (II, 108). Ramdohr geht so weit,
das Gemälde ein Beispiel schlechten Geschmackes zu nennen. Die
Gestaltung oben sei symmetrisch, die unten unordentlich, der Aus-
druck allenthalben übertrieben und oft gemein, viele Gedanken
seien sogar ekelhaft (der hl. Bartholomäus, der Wollüstige). Es
zeige sich ein Mangel an Haltung und Kolorit (I, 179). Von
Quatremere de Quincy wird dargethan, wie der gelehrte Prunk der
Anatomie der Mannigfaltigkeit des moralischen Eindruckes schade.
Nirgends finde man eine solche Nichtigkeit des moralischen oder
Gefühlseffektes. Am Weitesten in der Verurtheilurtg der Kompo-
sitionsweise ist Speth in seiner „Kunst in Italien" gegangen: er
sieht nur ein „gräuliches Gewirr".
Inzwischen ist auch die Anklage, die das Nackte betrifft, nicht
ganz verstummt. In einer Satire über die Malerei (S. Rosa: Satire,
Liriche, Lettere. Milano, Sonzogno 1892. S. Ii8 f.) geisselt Salvator
Rosa den Hochmuth der Künstler und bringt als Beispiel Michel-
angelo:
Ma tutta l'albagia non credo ch'abbia
Un fatto piü superbo e piü bestiale
Di quel ch'ora mi viene in sulle labia.
Scoperse il suo Giudizio Universale
Michel'Angelo al Papa; e ognun che v'era
Lo celebrava un' opera immortale.
Solo un tal cavalier con faccia austera,
E con parole di rigor ripiene
Favellö col pittore in tal maniera:
Questo vostro Giudizio espresso e bene,
Perche si vedon chiare in questo loco
Della vita d'ognun le parti oscene.