Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Thode, Henry; Michelangelo; Michelangelo [Contr.]
Michelangelo: kritische Untersuchungen über seine Werke; als Anhang zu dem Werke Michelangelo und das Ende der Renaissance (Band 2) — Berlin: Grote, 1908

Citation link:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/thode1908bd2/0433

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Zeichnung für Bugiardinis Martyrium der hl. Katharina 417

Alle, wie er es sich gedacht, auf engem Raum in einer Reihe unter-
kämen. Buonarroti, um ihm gefällig zu sein und weil er Mitleid
mit dem armen Menschen hatte, näherte sich mit einem Stück Kohle
der Tafel und skizzirte in Umrissen ohne Weiteres eine Reihe
wundervoller nackter Figuren, die, in verschiedenen Bewegungen
verkürzt, der eine nach hinten, der andere nach vorne niederstürzten;
auch einige Todte und Verwundete, mit jenem sichern Urtheil und
jener Meisterschaft, die eben ihm, Michelangelo, zu eigen war. Und
nachdem er dies gemacht, ging er, von Giuliano bedankt, von
dannen. Dieser, nicht lange nachher, holte seinen guten Freund
Tribolo, damit er sehe, was Michelangelo gemacht, und erzählte
ihm Alles. Und da, wie ich sagte, Michelangelo seine Figuren nur
in Umrissen gemacht, konnte Bugiardini sie nicht ausführen, weil
weder die Schatten noch Sonstiges angegeben war. Da entschloss
sich Tribolo, ihm zu helfen und machte einige Thonmodelle von
ausgezeichneter Ausführung, denn die kühne Art der Michelangelo'schen
Zeichnung ahmte er mit dem Gradireisen, einem Eisen nach, so dass
sie rauh und kräftig wirkten. Und die so ausgeführten Modelle
gab er Giuliano. Da aber diese Technik Bugiardinis Sinn für
Sauberkeit und Vorstellungsart nicht gefiel, nahm er, sobald Tribolo
fortgegangen, einen Pinsel, tauchte ihn in Wasser und glättete sie
so, dass sie nach Beseitigung aller Grate höchst sauber aussahen.
So, indem er die kräftige Wirkung des Sichabheben von Licht
und Schatten vernichtete, entfernte er gerade das Gute, das sein
Werk vollkommen gemacht hätte. Als Tribolo dies von Giuliano
selbst erfuhr, lachte er über die Einfältigkeit dieses Menschen, der
schliesslich das Werk in einer Weise vollendete, dass man auch
nicht das Geringste davon spürt, dass Michelangelo es je an-
gesehen."
Die Erwähnung Tribolos lässt darauf schliessen, dass der ge-
schilderte Vorgang im Jahre 1532 oder 1533 spielte. Und auf diese
Zeit weist auch der Stil der geistreichen Kreidezeichnung hin,
welche, in der Galleria Nazionale in Rom aufbewahrt, von
Venturi in L'Arte 1898, II, S. 261 veröffentlicht wurde. (Thode 514.
Ber. 1600.)
In der leichten lebendigen Art der Skizzirung erinnert sie
sowohl an die architektonischen Entwürfe für die Libreria, wie an
die ersten Studien für das Jüngste Gericht. Wird eine Skizze des
Meisters für Bugiardinis Gemälde auch nicht von Vasari erwähnt,
so kann es doch nicht zweifelhaft sein, dass wir eine solche vor
Augen haben. In einer hohen Hallenarchitektur, in welcher man
vor einem Portal zwei Gruppen von erregt nach oben schauenden
Menschen, die rechte sehr gedrängt, gewahrt, steht in der Mitte
vorne, die Arme ergebungsvoll nach unten gesenkt, den Blick nach

27
 
Annotationen