440 Gemälde, Zeichnungen und Entwürfe religiösen Inhaltes
en face, hält mit der Rechten an einem Gängelband das Christ-
kind, das, auf einem Kissen am Boden gekauert, sich zwischen
ihren Beinen einschmiegt, und berührt mit der Linken den rechts
hinter ihr stehenden Joseph, der, seitwärts gewandt, auf sie schaut,
die Arme über der Brust gekreuzt hat und den Zeigefinger der
Linken an den Bart legt. Sie schaut auf einen jugendlichen nach
vorne schreitenden Mann, der — dem Adam im Jüngsten Gericht
in der Haltung sehr ähnlich — sie anschaut, die Linke sprechend
zum Beschauer bewegt und mit der Rechten sein Gewand am rechten
Beine hält. Rechts unten vor Joseph schreitet der kleine Johannes;
auf Christus blickend weist er mit der Linken auf Maria und hält
in der erhobenen Rechten einen Stab (wohl den Kreuzesstab).
Zwischen den Köpfen der Jungfrau und des Jünglings schaut ein
älterer, in ein Tuch gehüllter Frauenkopf hervor. Hinter dem Jüng-
ling werden zwei ältere Köpfe: ein bartloser und ein bärtiger sicht-
bar. Links neben Joseph zwei bärtige Köpfe: der ältere vordere
mit einer Kappe.
Erinnert die Gruppe der Maria mit dem Kinde an das eine,
von Jugend an geliebte Hauptmotiv Michelangelo'scher Madonnen-
darstellung und gemahnt der Joseph an das „Silenzio" und an die
Pariser Studie zur hl. Familie (s. oben II, S. 433, Nr. X), so zeigt
die gesamte Komposition doch einen ganz neuen, nie zuvor in der
Renaissancekunst gebrachten Gedanken. Wer sind die anderen Ge-
stalten? Was ist der Sinn der Darstellung?
Sie wird „Epifania" genannt, dies würde die Annahme hervor-
rufen, es sei die „Anbetung der hl. drei Könige" gemeint. Von
einer eigentlichen Anbetung aber ist Nichts zu sehen, und es sind
nicht drei, sondern sechs Figuren äusser der hl. Familie gegeben.
Epiphania muss also hier in einem weiteren Sinne — ganz in des
Künstlers Geist, der an die Stelle des Historischen das Symbolische
setzte — aufgefasst sein, in dem alten Sinne der Offenbarung
Christi als des Gottessohnes vor den Heiden überhaupt, als deren
Vertreter im Epiphania- oder „Erscheinungsfest" die drei Magier
betrachtet wurden. Die Gestalten, die sich um die Madonna ver-
sammelt haben, dürften also die „im Dunkeln" Wandelnde sein,
denen der Stern, das Licht des Heiles, aufgeht. Wer anders könnte
dann der jugendliche Mann links, der die Handbewegung des
Propheten Ezechiel in der Sixtina macht, sein, als der Prophet des
Epiphaniasfestes, Jesajas, den man ja auch in dem frühesten Madonnen-
bilde, dem der Katakomben von Priscilla, auf den Stern weisend,
zu erkennen glaubt. Er war es, der sagte: „das Volk, so im
Finstern wandelt, siehet ein grosses Licht, und über die da wohnen
im finstern Lande, scheint es helle" (9, 2). Und folgen lässt:
„denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches
en face, hält mit der Rechten an einem Gängelband das Christ-
kind, das, auf einem Kissen am Boden gekauert, sich zwischen
ihren Beinen einschmiegt, und berührt mit der Linken den rechts
hinter ihr stehenden Joseph, der, seitwärts gewandt, auf sie schaut,
die Arme über der Brust gekreuzt hat und den Zeigefinger der
Linken an den Bart legt. Sie schaut auf einen jugendlichen nach
vorne schreitenden Mann, der — dem Adam im Jüngsten Gericht
in der Haltung sehr ähnlich — sie anschaut, die Linke sprechend
zum Beschauer bewegt und mit der Rechten sein Gewand am rechten
Beine hält. Rechts unten vor Joseph schreitet der kleine Johannes;
auf Christus blickend weist er mit der Linken auf Maria und hält
in der erhobenen Rechten einen Stab (wohl den Kreuzesstab).
Zwischen den Köpfen der Jungfrau und des Jünglings schaut ein
älterer, in ein Tuch gehüllter Frauenkopf hervor. Hinter dem Jüng-
ling werden zwei ältere Köpfe: ein bartloser und ein bärtiger sicht-
bar. Links neben Joseph zwei bärtige Köpfe: der ältere vordere
mit einer Kappe.
Erinnert die Gruppe der Maria mit dem Kinde an das eine,
von Jugend an geliebte Hauptmotiv Michelangelo'scher Madonnen-
darstellung und gemahnt der Joseph an das „Silenzio" und an die
Pariser Studie zur hl. Familie (s. oben II, S. 433, Nr. X), so zeigt
die gesamte Komposition doch einen ganz neuen, nie zuvor in der
Renaissancekunst gebrachten Gedanken. Wer sind die anderen Ge-
stalten? Was ist der Sinn der Darstellung?
Sie wird „Epifania" genannt, dies würde die Annahme hervor-
rufen, es sei die „Anbetung der hl. drei Könige" gemeint. Von
einer eigentlichen Anbetung aber ist Nichts zu sehen, und es sind
nicht drei, sondern sechs Figuren äusser der hl. Familie gegeben.
Epiphania muss also hier in einem weiteren Sinne — ganz in des
Künstlers Geist, der an die Stelle des Historischen das Symbolische
setzte — aufgefasst sein, in dem alten Sinne der Offenbarung
Christi als des Gottessohnes vor den Heiden überhaupt, als deren
Vertreter im Epiphania- oder „Erscheinungsfest" die drei Magier
betrachtet wurden. Die Gestalten, die sich um die Madonna ver-
sammelt haben, dürften also die „im Dunkeln" Wandelnde sein,
denen der Stern, das Licht des Heiles, aufgeht. Wer anders könnte
dann der jugendliche Mann links, der die Handbewegung des
Propheten Ezechiel in der Sixtina macht, sein, als der Prophet des
Epiphaniasfestes, Jesajas, den man ja auch in dem frühesten Madonnen-
bilde, dem der Katakomben von Priscilla, auf den Stern weisend,
zu erkennen glaubt. Er war es, der sagte: „das Volk, so im
Finstern wandelt, siehet ein grosses Licht, und über die da wohnen
im finstern Lande, scheint es helle" (9, 2). Und folgen lässt:
„denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches