Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 11.1911/1912
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Heft 32.
DOI Artikel:Redaktioneller Teil
DOI Artikel:D.W.D.K.: Eröffnung der Großen Berliner Kunstausstellung
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Heft 32.
Die Werkstatt der Kunst.
H35
Kunst der anderen Länder — alles in allem eine Aufgabe,
die, wenn man nicht nur die Spitzen berücksichtigen will,
was einer Unterdrückung der Jugend gleichkäme, nur von
einer großen und umfangreichen Ausstellung voll gelöst
werden kann.
Trotzdem wollen die Klagen über die großen Aus-
stellungen nicht aufhören, über die Langeweile, die uns
hier erfassen, über das öde Mittelmaß, das sich hier breit-
machen soll. Ob diese vorwürfe berechtigt sind, ob man
dabei nicht eine Iahresausstellung mit einem Museum
verwechselt, will ich hier nicht erörtern, aber jedenfalls
können wir Künstler mit einer Gegenklage erwidern, daß
nämlich in der heutigen Zeit gar oft, und gerade in den
höheren Kreisen, der rechte Sinn für die Betrachtung der
Kunstwerke fehle, wie inan im Automobil an einem
einzigen Tage ein ganzes Gebirge durchrast, so wünscht
man sich auch in der Kunst eine bequeme Häufung der
Genüsse: eine kleine Ausstellung, bei der eine flüchtige
Stundehunderi Sensationen liefern soll; wir aber wünschen
uns zur Betrachtung einen Wanderer, der die Mühen
eines langen Weges nicht scheut, auch nicht durch Strecken,
die ihm reizlos erscheinen, um dann mit doppeltem selbst
erworbenen Genuß aus den ausgewählten Höhen mit Ruhe
und Muße zu verweilen. Denn darüber soll man sich
keiner Täuschung hingeben: auch die Freude an der Kunst
kann nur durch Arbeit erworben werden. Ohne heißes
Bemühen um die Natur, ohne manchmal mühseliges Ein-
dringen in die persönliche Auffassung des Künstlers kein
Verständnis und darum keine Freude an der Kunst.
Zu solcher segensreichen Arbeit unser Volk immer
wieder aufzurufen, bietet die Eröffnung einer großen
Kunstausstellung eine willkommene Gelegenheit. Erinnern
wir uns zunächst der historischen Bedeutung der Kunst!
wir lernen ja schulgemäß manches aus den vergangenen
Jahrhunderten, aber vieles bleibt doch toter Buchstabe;
lebendiger Geist ist für uns eigentlich nur das, was noch
heute auf uns wirken kann: Kunst und Wissenschaft.
Noch heute rührt der griechische Dichter unsere Herzen,
und der Geist des Altertums spricht zu uns im antlken
Kunstwerk. So kommt man zu der Erfahrung, daß ein
gut Stück von dem, was von einem Volke bleibt, Kunst
ist oder sich in Kunst verkörpert. Diejenigen also, die von
unserer Zeit groß denken — und ihre Zahl ist ja nicht
gering —, dürfen wohl, wenn sie um das Gedächtnis der
Zukunft besorgt sind, der Kunst der Gegenwart nicht ver-
gessen.
Aber freilich in erster Linie ist die Kunst der Gegen-
wart für die Gegenwart da, und da, meine ich, ist sie so
recht geeignet, ein Gegenmittel zu sein gegen die Fehler
unserer Zeit.
wer sich die innere Ruhe erwirbt, sich in ein Kunst-
werk mit voller Seele zu vertiefen, der findet darin ein
Gegengewicht gegen das Hasten und Treiben des Erwerbs-
lebens, und wenn wir, ein vielleicht zu schnell reich ge-
wordenes Volk, nun auch die Schäden des Reichtums
spüren, dann kann für eine würdige Verwendung des
Geldes die Kunst wohl genannt werden. Denn die Kunst
ist ein Luxus, der nicht verweichlicht.
Ich möchte aber hier auch des Fehlers gedenken, der
uns Künstler besonders angeht, der sich am Hause der
Kunst selbst einnisten will: ich meine den Schmutz in Wort
und Bild, der nicht nur versteckt auf Hintertreppen, son-
dern offen in manchen Zeitschriften sich breit macht. Wie
weit jemand darin gehen kann, durch Ausbeutung der
niederen Instinkte der Menschen fbinen eigenen Geldbeutel
zu füllen, das entscheiden die Behörden; aber unsere, der
Künstler Sache ist es, dagegen Widerspruch zu erheben,
wenn dies geschieht, unter Ausrufung der Freiheit, unter
Mißbrauch des Namens der Kunst. Denn der schlechte
Zweck entheiligt die Mittel. Auch die höchste Kunstfertig-
keit, abgexaßt und eingerichtet auf den Zweck, durch den
Sinnenkitzel Geld zu verdienen, ist eine Versündigung,
nicht anders wie die ärztliche Wissenschaft angewandt zum
Verbrechen. Gegen dieses Uebel hat unser großer süd-
deutscher Meister Thoma vor Jahren in einer Parlaments-
rede den Staatsanwalt auf den plan gerufen. Aber die
Wurzel des Nebels sitzt doch tiefer in dem ungenügenden
Kunstverständnis. Denn dem wahren Kunstfreund können
solche Dinge nichts anhaben; er wird sie mit Verachtung,
mit einem ästhetischen Mißbehagen beiseiteschieben.
Gilt es also, überall das Kunstverständnis zu heben,
so dürfen wir wohl unsere Ausstellung — so bescheiden
wir sie auch sonst einschätzen mögen — in die Reihe der
Streiter einstellen.
Lin Unternehmen, das eine halbe Million Besucher
hat und bei einigem guten Willen wohl die doppelte An-
zahl haben könnte, ist wohl geeignet, Kunst und Freude
an der Kunst ins Volk hineinzutragen.
wir wenden uns nicht nur an die oberen Zehntausend;
denn das Kunstverständnis hat mit Latein und Griechisch
nichts zu tun, und so gut wir gelehrte, ja geniale Männer
kennen, die in Sachen des künstlerischen Geschmackes blind
sind, so gut finden wir in den breiten Volksmassen nicht
selten die Anlage zum künstlerischen Sehen. Die Kunst
wendet sich eben nicht an den Verstand, sondern an das
sinnliche Gefühl, und wenn es sich einmal um unfer Herz
handelt, dann kann uns auch die Wissenschaft, die Technik,
der Sport nichts bieten, wohl aber — neben vielem anderen
— die Erhebung durch die Kunst.
Solchen Bestrebungen wird und muß jede Regierung
eine gewisse Förderung zuteil werden lassen, wenn dies
aber unter der Aegide unseres Kaisers nach der Tradition
der kunstliebenden Hohenzollern in besonders hohem Maße
geschieht, dann dürfen wir wohl auch an dieser Stelle und
bei dieser Gelegenheit dies mit besonderem Danke hervor-
heben."
Hierauf erwiderte der Herr preußische Kultus-
minister, Exzellenz Trott von Solz:
Hochansehnliche Versammlung!
Mein sehr verehrter Herr Vorsitzender!
Sie haben der Großen Berliner Kunstausstellung
hohe Ziele gesetzt, und mancher wird Sie vielleicht darum
einen Idealisten nennen. Aber ich freue mich dessen. Denn
ohne gesundes Selbstvertrauen ist Großes nicht zu erreichen,
und es wäre zu beklagen, wenn bei Künstlern und Laien
die Auffassung allgemein würde, daß aus der Zerrissenheit
der Kunstanschauungen, aus dem Streit der Künstler und
aus der: Schwierigkeiten, die der Verwertung so vieler
moderner Kunsterzeugnisse entgegentreten, kein rettender
Ausgang zu finden sei.
Wohl wird auch an Ihrem Ausstellungswerke Kritik
geübt werden. Nicht nur von vorschnell urteilenden Be-
suchern, die die Schwierigkeit der Aufgabe nicht kennen,
sondern auch von gar manchem, der als Künstler vergeblich
hier seinen Platz an der Sonne gesucht hat. Aber wie ich
die Ueberzeugung habe, daß Ihre Ausstellung den Ver-
gleich mit dem, was anderwärts hierin geleistet wird,
keinesfalls zu scheuen braucht, so zweifle ich nicht, daß Sie
sich auch der Verantwortung Ihrer Jury gegenüber jedem
auf dem Kunstgebiete Ringenden bewußt gewesen sind. Ls
liegt mir daran, hier auszusprechen, daß die notwendige
Auswahl der Kunstwerke, die das Niveau der Ausstellung
bedingt — und man muß gewiß für die repräsentative
Ausstellung der deutschen und insbesondere der preußischen
Kunst wünschen, daß es ein hohes sei —, nur durch die
selbstgewählten Vertrauensmänner der Künstlerschaft er-
folgen kann, und daß sich behördliches Eingreifen,
wie die Statuierung von Vereins- und Alters-
vorrechten, verbietet. Aber ich muß nicht minder
wünschen, und ich vertraue, daß dieses Amt jederzeit mit
offenem und vorurteilsfreiem Blick geübt wird, wie es die
Rücksicht auf die Fortentwicklung unserer Kunst und auf
jeden einzelnen Künstler gebietet.
Das Ziel, daß dem Werke der Künstler verständnis-
volle Würdigung nicht fehle, und daß die Künstler selbst
sich der ihnen anvertrauten Güter bewußt bleiben, kann
Die Werkstatt der Kunst.
H35
Kunst der anderen Länder — alles in allem eine Aufgabe,
die, wenn man nicht nur die Spitzen berücksichtigen will,
was einer Unterdrückung der Jugend gleichkäme, nur von
einer großen und umfangreichen Ausstellung voll gelöst
werden kann.
Trotzdem wollen die Klagen über die großen Aus-
stellungen nicht aufhören, über die Langeweile, die uns
hier erfassen, über das öde Mittelmaß, das sich hier breit-
machen soll. Ob diese vorwürfe berechtigt sind, ob man
dabei nicht eine Iahresausstellung mit einem Museum
verwechselt, will ich hier nicht erörtern, aber jedenfalls
können wir Künstler mit einer Gegenklage erwidern, daß
nämlich in der heutigen Zeit gar oft, und gerade in den
höheren Kreisen, der rechte Sinn für die Betrachtung der
Kunstwerke fehle, wie inan im Automobil an einem
einzigen Tage ein ganzes Gebirge durchrast, so wünscht
man sich auch in der Kunst eine bequeme Häufung der
Genüsse: eine kleine Ausstellung, bei der eine flüchtige
Stundehunderi Sensationen liefern soll; wir aber wünschen
uns zur Betrachtung einen Wanderer, der die Mühen
eines langen Weges nicht scheut, auch nicht durch Strecken,
die ihm reizlos erscheinen, um dann mit doppeltem selbst
erworbenen Genuß aus den ausgewählten Höhen mit Ruhe
und Muße zu verweilen. Denn darüber soll man sich
keiner Täuschung hingeben: auch die Freude an der Kunst
kann nur durch Arbeit erworben werden. Ohne heißes
Bemühen um die Natur, ohne manchmal mühseliges Ein-
dringen in die persönliche Auffassung des Künstlers kein
Verständnis und darum keine Freude an der Kunst.
Zu solcher segensreichen Arbeit unser Volk immer
wieder aufzurufen, bietet die Eröffnung einer großen
Kunstausstellung eine willkommene Gelegenheit. Erinnern
wir uns zunächst der historischen Bedeutung der Kunst!
wir lernen ja schulgemäß manches aus den vergangenen
Jahrhunderten, aber vieles bleibt doch toter Buchstabe;
lebendiger Geist ist für uns eigentlich nur das, was noch
heute auf uns wirken kann: Kunst und Wissenschaft.
Noch heute rührt der griechische Dichter unsere Herzen,
und der Geist des Altertums spricht zu uns im antlken
Kunstwerk. So kommt man zu der Erfahrung, daß ein
gut Stück von dem, was von einem Volke bleibt, Kunst
ist oder sich in Kunst verkörpert. Diejenigen also, die von
unserer Zeit groß denken — und ihre Zahl ist ja nicht
gering —, dürfen wohl, wenn sie um das Gedächtnis der
Zukunft besorgt sind, der Kunst der Gegenwart nicht ver-
gessen.
Aber freilich in erster Linie ist die Kunst der Gegen-
wart für die Gegenwart da, und da, meine ich, ist sie so
recht geeignet, ein Gegenmittel zu sein gegen die Fehler
unserer Zeit.
wer sich die innere Ruhe erwirbt, sich in ein Kunst-
werk mit voller Seele zu vertiefen, der findet darin ein
Gegengewicht gegen das Hasten und Treiben des Erwerbs-
lebens, und wenn wir, ein vielleicht zu schnell reich ge-
wordenes Volk, nun auch die Schäden des Reichtums
spüren, dann kann für eine würdige Verwendung des
Geldes die Kunst wohl genannt werden. Denn die Kunst
ist ein Luxus, der nicht verweichlicht.
Ich möchte aber hier auch des Fehlers gedenken, der
uns Künstler besonders angeht, der sich am Hause der
Kunst selbst einnisten will: ich meine den Schmutz in Wort
und Bild, der nicht nur versteckt auf Hintertreppen, son-
dern offen in manchen Zeitschriften sich breit macht. Wie
weit jemand darin gehen kann, durch Ausbeutung der
niederen Instinkte der Menschen fbinen eigenen Geldbeutel
zu füllen, das entscheiden die Behörden; aber unsere, der
Künstler Sache ist es, dagegen Widerspruch zu erheben,
wenn dies geschieht, unter Ausrufung der Freiheit, unter
Mißbrauch des Namens der Kunst. Denn der schlechte
Zweck entheiligt die Mittel. Auch die höchste Kunstfertig-
keit, abgexaßt und eingerichtet auf den Zweck, durch den
Sinnenkitzel Geld zu verdienen, ist eine Versündigung,
nicht anders wie die ärztliche Wissenschaft angewandt zum
Verbrechen. Gegen dieses Uebel hat unser großer süd-
deutscher Meister Thoma vor Jahren in einer Parlaments-
rede den Staatsanwalt auf den plan gerufen. Aber die
Wurzel des Nebels sitzt doch tiefer in dem ungenügenden
Kunstverständnis. Denn dem wahren Kunstfreund können
solche Dinge nichts anhaben; er wird sie mit Verachtung,
mit einem ästhetischen Mißbehagen beiseiteschieben.
Gilt es also, überall das Kunstverständnis zu heben,
so dürfen wir wohl unsere Ausstellung — so bescheiden
wir sie auch sonst einschätzen mögen — in die Reihe der
Streiter einstellen.
Lin Unternehmen, das eine halbe Million Besucher
hat und bei einigem guten Willen wohl die doppelte An-
zahl haben könnte, ist wohl geeignet, Kunst und Freude
an der Kunst ins Volk hineinzutragen.
wir wenden uns nicht nur an die oberen Zehntausend;
denn das Kunstverständnis hat mit Latein und Griechisch
nichts zu tun, und so gut wir gelehrte, ja geniale Männer
kennen, die in Sachen des künstlerischen Geschmackes blind
sind, so gut finden wir in den breiten Volksmassen nicht
selten die Anlage zum künstlerischen Sehen. Die Kunst
wendet sich eben nicht an den Verstand, sondern an das
sinnliche Gefühl, und wenn es sich einmal um unfer Herz
handelt, dann kann uns auch die Wissenschaft, die Technik,
der Sport nichts bieten, wohl aber — neben vielem anderen
— die Erhebung durch die Kunst.
Solchen Bestrebungen wird und muß jede Regierung
eine gewisse Förderung zuteil werden lassen, wenn dies
aber unter der Aegide unseres Kaisers nach der Tradition
der kunstliebenden Hohenzollern in besonders hohem Maße
geschieht, dann dürfen wir wohl auch an dieser Stelle und
bei dieser Gelegenheit dies mit besonderem Danke hervor-
heben."
Hierauf erwiderte der Herr preußische Kultus-
minister, Exzellenz Trott von Solz:
Hochansehnliche Versammlung!
Mein sehr verehrter Herr Vorsitzender!
Sie haben der Großen Berliner Kunstausstellung
hohe Ziele gesetzt, und mancher wird Sie vielleicht darum
einen Idealisten nennen. Aber ich freue mich dessen. Denn
ohne gesundes Selbstvertrauen ist Großes nicht zu erreichen,
und es wäre zu beklagen, wenn bei Künstlern und Laien
die Auffassung allgemein würde, daß aus der Zerrissenheit
der Kunstanschauungen, aus dem Streit der Künstler und
aus der: Schwierigkeiten, die der Verwertung so vieler
moderner Kunsterzeugnisse entgegentreten, kein rettender
Ausgang zu finden sei.
Wohl wird auch an Ihrem Ausstellungswerke Kritik
geübt werden. Nicht nur von vorschnell urteilenden Be-
suchern, die die Schwierigkeit der Aufgabe nicht kennen,
sondern auch von gar manchem, der als Künstler vergeblich
hier seinen Platz an der Sonne gesucht hat. Aber wie ich
die Ueberzeugung habe, daß Ihre Ausstellung den Ver-
gleich mit dem, was anderwärts hierin geleistet wird,
keinesfalls zu scheuen braucht, so zweifle ich nicht, daß Sie
sich auch der Verantwortung Ihrer Jury gegenüber jedem
auf dem Kunstgebiete Ringenden bewußt gewesen sind. Ls
liegt mir daran, hier auszusprechen, daß die notwendige
Auswahl der Kunstwerke, die das Niveau der Ausstellung
bedingt — und man muß gewiß für die repräsentative
Ausstellung der deutschen und insbesondere der preußischen
Kunst wünschen, daß es ein hohes sei —, nur durch die
selbstgewählten Vertrauensmänner der Künstlerschaft er-
folgen kann, und daß sich behördliches Eingreifen,
wie die Statuierung von Vereins- und Alters-
vorrechten, verbietet. Aber ich muß nicht minder
wünschen, und ich vertraue, daß dieses Amt jederzeit mit
offenem und vorurteilsfreiem Blick geübt wird, wie es die
Rücksicht auf die Fortentwicklung unserer Kunst und auf
jeden einzelnen Künstler gebietet.
Das Ziel, daß dem Werke der Künstler verständnis-
volle Würdigung nicht fehle, und daß die Künstler selbst
sich der ihnen anvertrauten Güter bewußt bleiben, kann